Die gefiederte Nachbarschaft im Blick

Heimische Gartenvögel zu beobachten und zu erkennen macht Spaß und eröffnet viele Mölichkeiten, sich mit der Natur vor der eigenen Haustür zu beschäftigen. Foto: Ulrike Havermeyer

Vom 8. bis zum 10. Mai 2020 lädt der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) zur Stunde der Gartenvögel ein – und alle großen und kleinen Naturfreunde und die, die es werden wollen, können mitmachen: mit beobachten, mit zählen und ihre Ergebnisse mitteilen. Die bundesweite Bestandsaufnahme ist zugleich ein idealer Einstieg in ein spannendes Hobby.

Es lohne sich, bereits jetzt im April mit den Gartenvogelstunden zu beginnen, um die geschnäbelten Sänger kennenzulernen, rät Profi-Ornithologe Robert Tüllinghoff, stellvertretender Leiter der Biologischen Station Kreis Steinfurt in Tecklenburg, „da sie in den noch un- oder wenig belaubten Bäumen und Sträuchern gut zu entdecken sind.“ Ein einfaches, günstiges Fernglas genüge, und selbst vom Wohn- oder Arbeitszimmer ließen sich die verschiedensten Arten entdecken. „Ich schaue gerade immer wieder von meinem Computer auf“, berichtet Tüllinghoff, „und entdecke Amseln, Blau- und Kohlmeisen, Elstern, Dohlen und Ringeltauben.“

Im Sog der ornithologischen Faszination

Doch für alle Anfänger eine Warnung vorweg: Das Beobachten von Vögeln kann Nebenwirkungen haben und die Sicht auf die eigene Umgebung nachhaltig verändern. Denn wenn aus anonymen, bunten Federbäuschchen durch genaues Hinsehen plötzlich markante und voneinander unterscheidbare Arten werden, gerät der eben noch ahnungslose Betrachter schnell in den Sog der ornithologischen Faszination. Jedes Erfolgserlebnis – „Guck mal da, ein Rotkehlchen!“ – löst ein kleines Glücksgefühl aus. Und bei mehr als 60 Arten, die dem Nabu bei den vergangenen 15 Zählaktionen von 2004 bis 2019 regelmäßig als Brutvögel in den hiesigen Gärten und Parks gemeldet wurden, ist das Potenzial für positive personalisierte Piepmatz-Erfahrungen durchaus vielversprechend.

Rotkehlchen. Foto: Pixabay/Oldiefan

Eine mögliche Folge des Guck-mal-da-Effekts könnte sein, dass dem motivierten Beobachter Buchfink, Kohlmeise und Co. beim Ausüben seines neuen Hobbys schlichtweg ans Herz wachsen. Und wer alsbald einen Grundstock an heimischen Arten wiedererkennen und benennen kann, wem ihr Anblick und ihr Gesang nach und nach immer vertrauter werden, dem drängt sich womöglich irgendwann ein verwegener Gedanke auf: Garten, Balkon oder Park sind nicht nur Erholungsräume für ihn selbst, sondern funktionieren viel eher wie eine bunte Wohngemeinschaft. Denn neben uns Menschen haben sich auch viele Vögel – und anderes Getier – diese Orte als Lebensräume auserkoren und eingerichtet, zumindest über weite Teile des Jahres.

Zaunkönig. Foto: Pixabay/marliesplatvoet

Je mehr sich der menschliche Zweibeiner nun mit dem Alltag seiner gefiederten WG-Genossen beschäftigt – Was treibt so ein Zaunkönig eigentlich den lieben, langen Tag? Welchen Geschäften geht er nach? Welchem Stress ist er ausgesetzt? – umso präziser und detailreicher können wir uns ausmalen, wie Garten, Balkon oder Park aus der Vogelperspektive beschaffen sein sollten. Wie vielseitig und abwechslungsreich ist das Areal strukturiert? Gibt es genügend Rückzugsplätze und Nistmöglichkeiten? Ist ein ausreichendes Nahrungsangebot vorhanden?

Buchfink. Foto: Pixabay

Und schon hat der mittlerweile zum ambitionierten Vogelkundler herangereifte Fernglasträger das weite Feld des Naturschutzes betreten. Der Nabu dürfte sich all diese Nebenwirkungen, die die Stunde der Gartenvögel und ihr Pendant am zweiten Januarwochenende, die „Stunde der Wintervögel“, auszulösen imstande sind, erhofft und sie vielleicht sogar vorhergesehen haben. Auf seiner Internetseite stellt er nicht nur jede Menge Bestimmungshilfen und Übungsmaterial in Bild, Ton und als App kostenlos zur Verfügung, sondern gibt auch reichliche Anregungen, die Umwelt vor der eigenen Haustür weiter zu entdecken, zu gestalten und zu schützen.

Star. Foto: Pixabay/Pexels

Auch Robert Tüllinghoff hat noch jede Menge Tipps im Köcher: „Bei großen Gärten lassen sich vogel- und insektenfreundliche Bäume und Sträucher pflanzen, zum Beispiel Eberesche, Weißdorn, Stechpalme oder auch Stachel- und Johannisbeeren“ regt er an. Im Rasen sollten blühende Pflanzen je nach Standort, zum Beispiel Schlüsselblume, Marienblümchen oder Weißklee zugelassen werden – „oder zumindest sollten Teilflächen blütenreich sein“, so Tüllinghoff. „Somit werden Insekten gefördert, die wiederum Nahrung von verschiedenen Vogelarten sein können.  Im Garten oder Vorgarten sollte der Boden zwischen und unter den Sträuchern nicht kahl sein, sondern möglichst insektenfreundlich mit verschiedenen einheimischen Stauden bepflanzt werden.“ Auch der Balkon sollte blühende Stauden bieten und möglichst vielfältig begrünt werden und damit Insekten und Vögeln Nahrung und Unterschlupf bieten. Eine flache Schale mit Wasser gefüllt, könne den Durst löschen und als Badestelle dienen. Sie kann auf dem Balkon stehen oder an einem übersichtlichen Platz (Schutz vor Bodenfeinden) im Garten.

Wann treffen die Zugvögel ein?

Der Zählbogen für die Stunde der Gartenvögel – inklusive einer ausführlichen Gebrauchsanweisung – sowie viele weitere Tipps und Informationen zur Vogelbeobachtung sind zu finden auf www.nabu.de. Dort erfahren die Teilnehmer auch, wohin sie ihre Zählergebnisse schicken können, wie diese ausgewertet werden und wo sie am Ende der Aktion einzusehen sind. Tüllinghoff weist darauf hin, dass wer möchte, seine Beobachtungslisten im Internet außerdem auf www.ornitho.de melden und dort verfolgen könne, ob bestimmte Vogelarten schon in Deutschland oder seinem Heimatort angekommen seien.

(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 8. April 2020)