Das Geheimnis der Neunaugen in der Voltlager Aa

Die Wetterschutzhütte an der Voltlager Aa ist ein beliebtes Ausflugsziel. Was sich dort alles im Wasser tummelt, hat Johann und Caro Robbe sehr überrascht. Fotos (4): Ulrike Havermeyer

Ob Buchfink oder Bergmolch, Ringelnatter, Rotfeder oder Rötelmaus – Johann Robbe kennt sich aus mit dem, was da um ihn herum kreucht und fleucht. Neulich ist dem 13-jährigen Voltlager in der benachbarten Aa etwas ganz Besonderes zwischen die nackigen Füße geraten – und weil er ein profundes Wissen über die heimische Fauna besitzt, wusste der junge Tierfreund auch schnell, mit wem er es da zu tun hatte.

Als angehender Angler kennt Johann Robbe die Voltlager Aa in Höhe der Wetterschutzhütte wie seine Westentasche. Er weiß, an welchen Stellen vor und hinter der Brücke der Wasserstand tief oder hoch ist, welche Strömungsverhältnisse herrschen und wo die Umweltbedingungen – speziell für Speisefische – am günstigsten sind. Die Prüfung für seinen Angelschein hat der Achtklässler bereits abgelegt und bestanden, in wenigen Tagen wird er 14 Jahre und darf dann auch ohne Begleitung seinem Hobby nachgehen.

Auf der anderen Seite der Brücke ist das Wasser der Aa tiefer als im Bereich der Wetterschutzhütte.

An der Aa gefällt es ihm aber nicht nur der Fische wegen: „Ich bin oft mit meinen Freunden oder Geschwistern hier“, berichtet Johann Robbe, „weil es an der Wetterschutzhütte einfach sehr schön ist und man dort immer viele Bekannte trifft.“ Sagt‘s zieht sich Schuhe und Socken aus und steht – plitsch, platsch – auch schon bis zu den Waden im Wasser des kleinen Flüsschens. Seine Schwester Caro gleich hinterher.

Woher die Leidenschaft ihrer Kinder für die Natur stammt? Mutter Yvonne lächelt und zuckt etwas ratlos mit den Schultern. Sie selbst ist Architektin, ihr Mann Dirk Kaufmann. Immerhin: In dem weitläufigen Garten der Familie Robbe, nur wenige Fahrradminuten von der Wetterschutzhütte entfernt, geht es durchaus ökologisch korrekt zu: Heimisches Gebüsch bildet schattige Nischen. An unzähligen Nistkästen herrscht reger Flug- und Futterbetrieb.

Auf Du und Du mit den Bewohnern der Aa: Johann Robbe hat eine Mühlkoppe unter einem Stein geborgen – ein schneller Blick, und dann sofort zurück ins Wasser!

„Das Angeln hat mir mein Opa Reinhold gezeigt“, schaltet Johann sich ein. Von ihm habe er schon sehr früh sehr viel über die verschiedenen Fischarten erfahren. „Bei ihm – in der Nähe von Magdeburg – habe ich auch die ersten Zauneidechsen meines Lebens gesehen“, erinnert sich der fast 14-Jährige begeistert, einer von ihnen habe er in der kühlen Morgenluft sogar ganz vorsichtig mit dem Finger über ihr Köpfchen gestreichelt. „Ich glaube Zauneidechsen sind meine Lieblingstiere“, nickt er zufrieden.

Auf die bräunlich oder grün schimmernden Reptilien ist er bei seinen Streifzügen entlang der Voltlager Aa zwar noch nicht gestoßen, aber dafür ist ihm Anfang April eine andere spektakuläre Entdeckung gelungen. Als er wie immer barfuß durch den kleinen Fluss stakste, bemerkte er im Schutz eines Steines einige längliche, etwa 30 Zentimeter große, sich schlängelnde Fische. „Zuerst dachte ich, dass es Schmerlen sind“, berichtet er, „aber als ich dann ganz vorsichtig und mit viel Wasser ein paar von ihnen gefangen und genauer angeschaut habe, war ich mir ziemlich sicher, dass es sich um Flussneunaugen handelt.“ Dieser Art, die europaweit als streng geschützt eingestuft ist, war er zuvor noch nie begegnet. Als sich eines der Tiere schließlich an seiner Handfläche festsaugte, war auch der letzte Zweifel für den jugendlichen Fischexperten ausgeräumt. „Das hat sich angefühlt, als wenn man durch einen Strohhalm sehr kräftig an der eigenen Haut saugt“, erzählt er mit leichtem Schaudern.

Die Larven der Flussneunaugen vergraben sich zunächst für rund fünf Jahre in der sandigen Sohle ihres Laichgewässers. Nach der Umwandlung zum ausgewachsenen Tier wandern sie dann – ähnlich wie Aale – für mehrere Jahre ins Meer. Dort saugen sich die kieferlosen Rundmäuler als Parasiten an Fischen fest, denen sie mit ihren feinen Zähnchen kleine Fleischbrocken aus dem Gewebe raspeln. Zum Laichen ziehen sie wieder flussaufwärts. Der Name Neunauge ergibt sich aus der Seitenansicht: Am vorderen Ende des Körpers befinden sich in einer Reihe neun dunkle Punkte – aber nur eines davon ist ein Auge, ein weiteres die Nasenöffnung, bei den restlichen sieben „Augen“ handelt es sich um die Kiemenspalten.

Um die Beobachtung zu dokumentieren, zückte Johann Robbe kurzerhand sein Smartphone und drehte einen Film  – was gar nicht so leicht war, wie es auf dem Video aussieht. „Die Wasseroberfläche hat extrem stark  gespiegelt und ich musste ständig aufpassen, nicht den eigenen Schatten aufs Bild zu bekommen.“

An der Betonwand der Brücke in Höhe der Wetterschutzhütte hatte sich im Frühjahr ein ganzer Schwarm von Neunaugen festgesaugt, berichten Johann und Caro Robbe.

Klar, dass der ambitionierte Tierfreund in den darauf folgenden Tagen regelmäßig zur Aa stiefelte – mal mit seiner Schwester Caro und seinem Bruder Simon, mal mit seinen Kumpeln Jakob und Lasse, um das Treiben der Neunaugen weiter zu verfolgen. Außer an den Steinen hatte sich ein ganzer Schwarm von ihnen auch an der Betonwand der Brücke festgesaugt und dort wie Algen in der Strömung gewedelt, berichtet er. „Einige hatten knallrote Augen“, wundert er sich. Nachdem sie etwa zwei Wochen später in Höhe der Wetterschutzhütte abgelaicht hätten, seien sie – wie das für Neunaugen normal sei – wohl gestorben.

Nun fragt sich der wissbegierige Voltlager, ob ihm irgendjemand mehr über die Neunaugen in der Aa berichten kann: Ist die Art dort schon früher gesichtet worden? Leben die Neunaugen gar beständig in der Aa? Und was hat es mit den roten Augen auf sich? Wer über weitere Informationen verfügt, kann sich bei der Familie Robbe unter Telefon 05467 556002 melden. Ein spannendes Gespräch von Tierfreund zu Tierfreund ist quasi garantiert.

(Erschienen in: Bersenbrücker Kreisblatt, 01. Juli 2020)