Können Mensch, Wolf und Schaf sich miteinander arrangieren?

Um das Verhalten und die Ausbreitung des Wolfes besser zu verstehen, ist jeder Hinweis über eine Sichtung oder weitere Spuren wichtig. Symbolfoto: Andrea Bohl/Pixabay

Der Wolf scheint den Altkreis Bersenbrück erreicht zu haben. Die Indizien deuten darauf hin, dass in diesem Jahr bereits fünf Schafe im Bereich Berge und zwei weitere in Nortrup von einem oder mehreren Vertretern seiner Art erbeutet worden sind. Zum Vergleich: 2019 wurde im selben Gebiet lediglich ein Schafsriss offiziell gemeldet. In allen Fällen steht der genetische Nachweis noch aus.

Beim Ortstermin am Stift Börstel in Berge, wo sich Anfang Mai der jüngste mutmaßliche Wolfsriss im Altkreis ereignet hat, soll es nicht um Schuld gehen. Nicht um politische Ideologien. Und erst recht nicht um Stimmungsmache für oder gegen den Wolf. Vielmehr gehe es darum, die Bevölkerung mit in die Thematik einzubeziehen und sie über die aktuelle Situation zu informieren, sind sich Arndt Eggelmeyer, Wolfsberater des Landkreises Osnabrück, Weideviehhalter Guido Holtheide und Kreisjägermeister Martin Meyer Lührmann einig. Bei der Frage, welche Folgen die Ausbreitung des Wolfes im Altkreis Bersenbrück haben könnte und wie man mit diesen Auswirkungen umgehen sollte, setzen sie auf Transparenz und Fakten.

Die Idylle trügt: Wolfsberater Arndt Eggelmeyer (von links), Biobauer Guido Holtheide und Kreisjägermeister Martin Meyer Lührmann statten Äbtissin Britta Rook einen Besuch ab, deren Schafbock einige Tage zuvor mutmaßlich von einem Wolf gerissen worden ist. Foto: Ulrike Havermeyer

Auch Äbtissin Britta Rook, die Hausherrin, ist um Sachlichkeit bemüht. „Ich kann mit dem Wolf leben“, sagt sie, „wenn er sich unauffällig verhält, im Wald bleibt und sich von Menschen und Häusern fernhält.“ Dennoch ist der passionierten Züchterin anzumerken, wie sehr der Verlust ihres Herdbuch-Zuchtbocks der seltenen Haustierrasse „Weiße Gehörnte Heidschnucke“ sie noch immer aufwühlt. Denn schließlich wurde der Bock nicht irgendwo weit draußen auf einer einsamen Viehweide gerissen, sondern unmittelbar auf dem Gelände des Stiftes. Umgeben von einem Wildschutzzaun. Während die beiden Herdenschutzhunde die Mutter- und Jungtiere gleich nebenan bewachten.

„Die Zahl der potenziellen Wolfsrisse rund um den Börsteler Wald ist in den vergangenen Monaten auffällig angestiegen“, bestätigt Arndt Eggelmeyer. Hervorzuheben sei dabei, dass die meisten Schafe in unmittelbarer Nähe von Gebäuden erbeutet worden seien. „In einem Fall ist ein Kamerunschaf auf einer direkt an ein Wohnhaus angrenzenden Wiese gerissen worden“, sagt Eggelmeyer. Martin Meyer Lührmann deutet auf ein Muster bei den Rissen im Altkreis hin: „Wie es aussieht haben sich der oder die Wölfe auf Schafe eingestellt, wobei sie die Nähe zum Menschen scheinbar nicht abschreckt.“ Die Häufigkeit der Risse spreche außerdem eher dagegen, dass es sich um ein einzelnes durchziehendes Tier handele. Sollte sich also irgendwo im Börsteler Wald ein Rudel etabliert haben?

Eurasischer/Europäischer Wolf. Foto: Marcel Langthim/Pixabay

Dafür gebe es bis jetzt zu wenig gesicherte Fakten, verweist Raoul Reding, Wolfsbeauftragter der Landesjägerschaft Niedersachsen und Leiter des Wolfsmonitoring (Beobachtung und Erfassung der Bestandsentwicklung) auf Anfrage auf die noch ausstehenden Ergebnisse der genetischen Analyse: Anhand von Speichelspuren, die der Beutegreifer am Riss hinterlässt, oder anhand von Haaren oder Kot, können Teile der Erbsubstanz entschlüsselt werden. Dadurch lässt sich zum einen die Tierart bestimmen, die für den Riss verantwortlich ist – Wolf oder streunender Hund; zum anderen kann der Beutegreifer bei einer entsprechend guten Probenqualität individualisiert werden – und ist dadurch wiedererkennbar.

Drei solcher wiedererkennbaren Wölfe durchstreifen seit einiger Zeit den Bereich um Herzlake (Landkreis Emsland) und Löningen (Landkreis Cloppenburg): Der aus Brandenburg stammende Rüde GW1111m und die in Sachsen erstmals registrierte Fähe GW763f bilden seit 2018/2019 laut Wolfsmonitoring ein Paar und haben das Revier um Herzlake besetzt. 2019 hatten die beiden nachweislich Nachwuchs. Dem „Herzlaker Rudel“ werden mehr als 220 Schafsrisse im Raum Löningen zugeschrieben, von denen besonders die Deichschäferei von Mechthild und Egbert Ostermann betroffen und in ihrer Existenz bedroht ist.

Neben Wildtieren wie Reh, Wildschwein und Hase stehen auch Nutztiere wie das Schaf auf der Speisekarte des Wolfes. Foto: David Mark/Pixabay

Welche Rolle eine weitere Fähe – GW965f – spielt, deren Weg sich von Lüchow-Dannenberg über Lemelerveld in den Niederlanden, weiter über Westerkappeln (Kreis Steinfurt/NRW)  bis nach Löningen verfolgen lässt, ist noch völlig offen. Genetisch belegt ist dagegen, dass im Februar 2020 innerhalb von zehn Tagen 22 tote Schafe in der Gegend um Löningen auf das Konto dieser Fähe gingen. Ob GW965f eine Durchzüglerin ist, die die Region längst wieder verlassen hat, ob sie die Fähe GW763f im Herzlaker Rudel verdrängt und deren Platz eingenommen hat oder ob am Ende sie es ist, die sich ohne Partner und ohne Rudel allein im Raum Berge aufhält, kann laut Raoul Reding momentan mangels genetischer Belege weder widerlegt noch bestätigt werden. Je nach Fragestellung, Probenqualität und Auslastung des Genetiklabors könne es mehrere Wochen dauern, bis ein solches Ergebnis vorliege, gibt Reding zu bedenken. Die Individualisierung einer Probe sei dabei auch zeitlich betrachtet das aufwändigste Verfahren.

Angesichts der gehäuften Schafsrisse im Altkreis Bersenbrück vermutet Meyer Lührmann, dass das Herzlaker Rudel seinen Radius weiter südwärts in den Raum Hahnenmoor/Börsteler Wald ausgedehnt haben könnte. Das sei in der Tat nicht auszuschließen, aber es könne auch nicht belegt werden, verweist Reding wiederum auf fehlende genetische Belege.

Mit jeder Meldung wächst das Verstehen

Erst wenn die vorliegen lässt sich sagen, welche Wölfe sich wo aufhalten, ob sich die Rudelstrukturen verändern und welches (Jagd-)Verhalten die jeweiligen Tiere an den Tag legen. Kurzum: Über je mehr Hinweise, detaillierte genetische Auswertungsergebnisse und gesicherte Fakten man verfügt, desto besser lässt sich die Ausbreitung des Wolfes – auch im Altkreis Bersenbrück – nachvollziehen, verstehen und möglicherweise auch vorausahnen. Was wiederum für das Abwägen der Folgen und für frühzeitige Schutzmaßnahmen für das Weidevieh von nicht zu unterschätzender Bedeutung wäre.

„Und hier kommt nun die Bevölkerung ins Spiel“, appelliert Meyer Lührmann nicht nur an Schäfer, Landwirte, Viehhalter, Naturschützer und Jäger, sondern auch an Privatpersonen, jeden noch so kleinen Hinweis auf einen Wolf – ob potenzielle Sichtung, Fährte, Losung, Fellbüschel, Handy-Schnappschuss, Fotos aus Wildtierkameras oder vermuteter Riss – unbedingt zu melden. Denn nur anhand solcher Daten könne man einschätzen, ob und wie sich der Wolf im Altkreis Bersenbrück ausbreite und versuchen, die Dynamik dieser Ausbreitung zu verstehen. Alle Hinweise und Informationen zum Wolf nimmt Arndt Eggelmeyer unter Telefon 0171 9034426 oder unter E-Mail arndt.eggelmeyer@emsland.de entgegen.

(Erschienen in: Bersenbrücker Kreisblatt, 02. Juni 2020)