Als Wahlhelferin demokratisches Neuland entdecken

Nein, die Kommunalwahl ist kein Spiel – aber Spaß macht sie, zumindest den Wahlhelfern, trotzdem: Matthias Erlenbusch (von links), Annika Meyer, Miriam Westermann, Sören Helmich, Ralf Najorka, Petra Plorin und Thorben Helmich. Fotos (5): Ulrike Havermeyer

Nein, die Demokratie ist natürlich kein Spiel – viel zu kostbar ist sie, zu grundlegend für unser soziales Gefüge, als dass man sie derart leichtfertig vereinfachen könnte. Trotzdem: Nach meiner Premiere als Wahlhelferin appelliere ich an alle Spieleerfinder: Bringt endlich „Die Kommunalwahl – ein Tag voller Spannung und ungeahnter Herausforderungen“ auf den Markt.

Bisher habe ich mich an sämtlichen Wahlen lediglich als Wählerin beteiligt. Ein kurzer Einsatz von etwa zehn Minuten – aber immerhin: am Ende von nicht zu unterschätzendem Einfluss. Bei der diesjährigen Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen am 13. September wollte ich demokratisches Neuland erkunden und tiefer ins Geschehen einsteigen.

Also: Ein Anruf bei der Westerkappelner Gemeindeverwaltung. Das mir daraufhin zugesandte Ernennungsformular unterschreiben – und schon durfte ich mich als Wahlhelferin bewähren. Nach einer Schulung und der Verpflichtung der Wahlvorstände durch Wahlleiter Thomas Rieger und Hauptamtsleiterin Sandra Gries, fand ich mich am Wahlsonntag um 7.30 Uhr vor dem mir zugeteilten Wahllokal „Katholisches Pfarrheim“ in Westerkappeln wieder.

Die Freundinnen Annika Meyer (links) und Miriam Westermann sind trotz ihres jungen Alters schon „alte Demokraten-Hasen“ und engagieren sich bereits zum dritten Mal als Wahlhelferinnen.

Zurück zur Spielidee – ziehe eine Aktionskarte: „Der Wahlvorstand tritt zusammen. Prüft gemeinsam die Wahlunterlagen und Materialien und richtet den Wahlraum her.“ Wahlvorstand? Jeder Wahlhelfer gehört automatisch dem jeweiligen Wahlvorstand vor Ort an. Der besteht aus dem Wahlvorsteher und seinem Stellvertreter, dem Schriftführer und dessen Stellvertreter und in der Regel vier Beisitzern. Im Wahllokal für den Wahlbezirk 07 herrschen an diesem Tag optimale Bedingungen: Mit Annika Meyer (21 Jahre), Miriam Westermann (21), Petra Plorin (54), Thorben (21) und Sören (19) Helmich, Matthias Erlenbusch (37) und Ralf Najorka (56) sind wir zu acht und können uns später in zwei Schichten aufteilen.

Als Wahlvorsteher ist Ralf Najorka (links) dafür verantwortlich, dass das Wahllokal genügend Infektionsschutz vor dem Coronavirus bietet. Petra Plorin (weiter von links), Sören und Thorben Helmich gehen ihm beim Aufbau des Spuckschutzes zur Hand.

Weil die Kommunalwahl diesmal unter erschwerten Corona-Bedingungen stattfindet, müssen wir zunächst das Wahllokal entsprechend der Hygieneverordnung umgestalten. Danach sind jede Menge weitere Vorkehrungen für den korrekten Ablauf der Wahl zu treffen. Was genau, ist im Merkblatt für Mitglieder des Wahlvorstands zusammengefasst, welches unter anderem auf dem Kommunalwahlgesetz, der Kommunalwahlordnung sowie der Gemeinde- und Kreisordnung beruht: Ist die Wahlurne leer – und, nachdem das festgestellt worden ist, ordnungsgemäß verschlossen? Liegt das richtige Wählerverzeichnis vor? Sind genügend Stimmzettel vorhanden? Ist jegliche Wahlwerbung im Wahllokal und in dessen unmittelbarer Nähe ausgeschlossen und somit gewährleistet, dass die Wahl regelkonform und unparteiisch abgewickelt werden kann?

Bevor die Urne als sicheres Behältnis für die Stimmzettel dient, werden in ihr die für die Wahl benötigten Materialien vom Rathaus zum Wahllokal transportiert. Ralf Najorka überprüft, ob auch alles dabei ist.

Schließlich ist es 8 Uhr – und fast meint man, mit dem Beginn der allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahl den Herzschlag der Demokratie etwas kräftiger schlagen zu hören. Doch mit dem Öffnen der Wahllokale entsteht zugleich Raum für etliche Unwägbarkeiten, auf die es im Laufe der zehnstündigen Wahlphase akribisch zu achten gilt. Zum Beispiel: Ein Wähler hat seine Wahlbenachrichtigung nicht dabei und ist nicht im Wählerverzeichnis aufgelistet. Was ist zu tun? Oder: Ein Wähler macht Anstalten, seinen Stimmzettel nicht in der Wahlkabine auszufüllen, sondern auf der Fensterbank. Wie reagiert der Wahlvorsteher? Oder: Zwei Personen gehen zusammen in eine Wahlkabine. Oder: Der Wähler kommt mit nicht zusammengefalteten Stimmzetteln aus der Wahlkabine. Alles Szenarien aus der Realität…

Die heiße Phase beginnt

Nachdem die Wahl um 18 Uhr beendet ist, setzt die eigentliche heiße Phase für die Wahlhelfer ein: das Auszählen der Stimmzettel. Bei der NRW-Kommunalwahl 2020 müssen – wegen der wahlbezirksabhängigen Kandidatenwahl für den Gemeinderat – neben den Stimmzettel aus der Wahlurne auch die der Briefwähler im Stimmbezirk berücksichtigt werden. Letztere bringt der Briefwahlvorstand aus dem Rathaus in einer gesonderten Urne ins Wahllokal.

Am späten Nachmittag bringen Robert Laun (von links) und Silke Niehaus vom Briefwahlvorstand die verschlossene Urne mit den ungeöffneten blauen Wahlumschlägen der Briefwähler ins Wahllokal. Wahlvorsteher Ralf Najorka quittiert deren Eingang.

Nun sind Teamarbeit, Regelsicherheit und strategisches Handeln gefragt, wobei über allem Tun der Grundsatz schwebt: Zuverlässigkeit vor Schnelligkeit. Als Wahlhelfer lernt man, dass neben Kommunikation und sauberer Absprachen auch Humor und eine gute Portion Gelassenheit wichtige Elemente des demokratischen Handelns sind. Beim Auszählen der Stimmzettel ist ein strukturiertes Vorgehen nach strengen Vorgaben vonnöten. Im Wahllokal 07 herrscht – wie wohl auch in den übrigen 13 Wahllokalen der Gemeinde Westerkappeln – emsige und hoch konzentrierte Geschäftigkeit. Zu acht prüfen wir die Stimmzettel auf ihre Gültigkeit, etwaige Unstimmigkeiten müssten in der Wahlniederschrift festgehalten werden. Stimmt die Anzahl der abgegebenen Stimmzettel mit der Zahl der Stimmabgabevermerke im Wählerverzeichnis plus der eingenommenen Wahlscheine überein?

Schnellmeldung via Telefon

Sobald die erste der vier Wahlen – die für das Landratsamt – ausgezählt ist, wird das Ergebnis vom Wahlvorsteher per Schnellmeldung via Telefon ins Rathaus übermittelt. Und dann heißt es auch schon wieder: genau hinschauen und mit geballter Aufmerksamkeit weiterzählen. Von den 740 im Wählerverzeichnis aufgelisteten Wahlberechtigten haben 303 Personen im Wahlbezirk 07 ihre vier Stimmzettel in die Urne geworfen – macht insgesamt 1212 Stimmzettel. Dazu kommen 138 Briefwähler mit weiteren 552 Stimmzetteln. Trotzdem: Die Wahlbeteiligung ist mau. Gerne hätten wir Wahlhelfer mehr Arbeit gehabt.

Zum Schluss werden Stimmzettel, Wahlscheine und Wahlniederschrift nach einem ausgeklügelten Konzept zu Paketen gepackt, versiegelt und in der verschlossenen Urne zur weiteren Verwahrung ins Rathaus gebracht. Um 20.25 Uhr beenden wir Wahlhelfer unseren Einsatz. Wir sind erschöpft, erleichtert, zufrieden – aber so richtig glücklich sind wir nicht.

Noch Wahlhelfer in Velpe gesucht

Denn dass die Demokratie auf einem Mitmachkonzept beruht, um ordentlich zu funktionieren, scheint immer mehr Bürgern gleichgültig zu werden. 58,3 Prozent der wahlberechtigten Westerkappelner haben bei der jüngsten Kommunalwahl ihre Stimme abgegeben, bei den Lotteranern waren es nur 47,8 Prozent. Am kommenden Sonntag findet die Stichwahl für den Landrat des Kreises Steinfurt statt – die nächste Gelegenheit, aktiv zu werden und demokratisch Flagge zu zeigen.

Nicht nur als Wähler, sondern auch als Wahlhelfer: Speziell im Bereich Velpe sucht die Gemeinde Westerkappeln noch Mitglieder für den Wahlvorstand, Mindestalter: 16 Jahre. „Wer Interesse hat, kann sich noch bis Freitag unter Telefon 05404 887131 bei mir melden“, hofft Sandra Gries auf ambitionierte Demokraten. Denn auch wenn die Kommunalwahl natürlich kein Spiel, sondern von existenzieller Bedeutung ist, so ist sie doch ein Ereignis voller Spannung und ungeahnter Herausforderungen – und kann im Kreise gut aufgelegter Wahlhelfer sogar richtig Spaß machen.

(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 23. September 2020)

Nachtrag: Bei der Stichwahl des Landrates für den Kreis Steinfurt am 27. September 2020 lag die Wahlbeteiligung in der Gemeinde Westerkappeln bei 23,6 Prozent, in der Gemeinde Lotte haben 18 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben.