Ein dreigängiges Adventsmenü zum Mitnehmen? Carpaccio vom Münsterländer Rind, Brust und Keule von der Gans, Lebkuchen-Nougat-Pannacotta sowie weitere, auch vegetarische, Gaumenfreuden zur Auswahl – und das alles perfekt vorbereitet? Zuhause bloß noch erhitzen, anrichten und drauflos schlemmen? Das Angebot der Eventgastronomie „Die Werkstatt“ aus Mettingen klingt verlockend – aber ist es auch umsetzbar? Als Küchendilettantin gehe ich auf volles Risiko – und bestelle für zwei Personen.
So habe ich mir einen Gourmet-Tempel aber nicht vorgestellt: Als ich „Die Werkstatt“ betrete, schlägt mir statt kühler Eleganz eine Welle vorweihnachtlicher Geschäftigkeit entgegen. Ein riesiger Tannenbaum dominiert den hallenartigen Raum, auf Tischen und Tresen drapieren Mitarbeiter Berge von Weihnachtsartikeln: erlesene Weine, selbst hergestellte Öle, Gewürze und Schokolade. Daneben Kissen, Kerzen und ausgefallenes Dekorationsmaterial. „Eigentlich schade, dass es nur vier Adventssonntage gibt“, schmunzelt Mitarbeiterin Ursula Blömker, während sie emsig Waren auspackt und etikettiert, „bei uns geht es derzeit zu wie in einer Wichtelwerkstatt.“ Um den Kunden, die ihre Adventsmenüs selber abholen, etwas Schönes zu bieten, hat das Werkstatt-Team kurzerhand eine Art Mini-Weihnachtsmarkt auf die Beine gestellt. Inklusive heißer Waffeln und Glühwein to go.
„Wir müssen in diesem Jahr ständig neue Wege gehen“, haben sich Gourmetkoch Enrico Domigalle und sein Team fast schon daran gewöhnt, der Corona-Pandemie so kreativ wie entschlossen die Stirn zu bieten. Wieder und wieder, von Lockdown zu Lockdown. Innerhalb weniger Wochen hat „Die Werkstatt“, die sonst ihre Gäste in Workshops, Seminaren oder bei größeren Festlichkeiten die Haute Cuisine näherbringt, einen Online-Shop aus dem Boden gestampft. „Die Idee mit dem Adventsmenü ist uns etwa Mitte November gekommen“, berichtet Domigalle. Und wieder war es völliges Neuland, das die Mettinger betreten haben. „Welche Gerichte eignen sich? Wie lassen sich die Speisen ohne Qualitätsverlust haltbar machen? Wie schaffen wir das logistisch?“, benennt der Küchenchef nur einige der Fragen, die es zu beantworten galt.
Methode des Sous-Vide-Garens
Am Donnerstag vor dem zweiten Advent steht Domigalle in der offenen Küche der Werkstatt und zerlegt die vorbestellten Gänse, die etwa zwölf Stunden nach der Methode des Sous Vide Garens zubereitet worden sind. „Sehen sie – man muss den Knochen gar nicht herausschneiden“, schwärmt er, „das Fleisch ist so zart, dass er sich einfach herausnehmen lässt.“ Während mir das Wasser im Munde zusammenläuft, inhaliere ich die betörenden Aromen der Gänse und der auf einem anderen Tablett liegenden Rinder-Schmorstücke, die ihre perfekte Konsistenz ebenfalls dem Umstand verdanken, bei Temperaturen unter hundert Grad vorbereitet worden zu sein. Das sieht alles sehr vielversprechend aus, stelle ich mir vor, wie das „Werkstatt-Team die Gerichte samt Beilagen und Topping hübsch anrichten und ihren Gästen servieren. Aber Fehlanzeige! In diesem Jahr kommen Schmorstück samt Sauce und Beilagen, Gnocchis in Trüffelsauce, Kürbissuppe, Couscoussalat plus zwei Desserts im Karton zu uns – und wir müssen selber ran!
„Etwa 80 Prozent der Kunden holen ihren Karton hier selbst ab, genießen die stimmungsvolle Atmosphäre und stöbern noch etwas über unseren Weihnachtsmarkt“, berichtet Küchenwerkstatt-Chefin Laura Kutschbach. Alternativ bietet die „Werkstatt“ einen Lieferservice bis 30 Kilometer an oder verschickt die Adventsmenüs per DPD Food Service. Weil alles vorgegart und vakuumverpackt ist und die Desserts gekühlt sind, können die Speisen gekühlt bis zu zehn Tage aufbewahrt werden. Geordert werden die Adventsmenüs nicht nur von Privatpersonen, sondern auch von Firmen, die ihren Angestellten anstelle coronabedingt ausgefallener Weihnachtsfeiern eine kulinarische Überraschung nach Hause liefern lassen. Das Einzugsgebiet der „Werkstatt“ reicht von Osnabrück über Münster bis nach Rheine.
Etwas mulmig wird mir allerdings schon, als ich unseren Karton am Samstag öffne: Viele kleine Plastiktöpfchen, Becher, Beutel sind darin gestapelt – wie gut, dass alles säuberlich mit Nummern beschriftet ist und zu allen Menüs Gebrauchsanweisungen mitgeliefert sind. Die einzelnen Arbeitsschritte, so hatte es Domigalle beschrieben, sollten die Kunden nicht überfordern, dürften aber auch nicht zu simpel sein, sodass das Zubereiten und Anrichten sich als ein gemeinsames Erlebnis gestalte und das anschließende Verzehren ein reiner Genuss sei. „Die Balance aus Spaß und Herausforderung muss stimmen“, so der Küchenchef.
Balance zwischen Spaß und Herausforderung
Vielleicht der anfänglichen Aufregung und Ungeübtheit in Küchendingen geschuldet, überwiegt bei uns allerdings zunächst die Herausforderung. Nach reiflicher Überlegung beschließen mein Mann und ich, statt eines perfekten Timings, nach dem ein Gang auf den nächsten folgt, längere Pausen für die Zubereitung des jeweils nächsten Gangs einzuplanen – und so mehr Gelassenheit rund um die improvisierte Festtafel zu schaffen. Die Kürbissuppe wird aus dem Beutel gequetscht und im Topf erwärmt – anschließend nach Werkstattvorschlag – mittels Postkarte oder per QR-Code herunterzuladendem Video – ansprechend angerichtet. Die Bausteine für den Couscoussalat sind gleichermaßen unkompliziert zusammenzufügen. Und dann der erste Bissen… whow!
Dass sich Gerichte der gehobenen Küche ohne schmeckbare Qualitätseinbußen „zum Mitnehmen“ eignen, hätten wir nicht gedacht. Was die Vorspeisen schon ahnen lassen, runden die Hauptgänge harmonisch ab. Das Rinder-Schmorstück samt Sauce, das Süßkartoffelpüree und die Spitzkohlbeilage werden – jeweils im Vakuumbeutel – im Wasserbad erwärmt. Die Gnocchis im Topf erhitzt. Beim Anrichten unserer Baukasten-Menüs auf dem Teller entwickeln wir im Laufe des Abends – inzwischen sehr gelassen und bester Dinge – selbstbewusst unseren eigenen Stil.
Obwohl uns – zugegeben – die Beutel und Schächtelchen im Transportkarton auf den ersten Blick doch eher knapp bemessen erschienen waren, sind wir nach dem Hauptgang eines besseren belehrt und: pappsatt. „War das lecker“, murmelt mein Mann schläfrig. Unsere Desserts – Cheesecake mit eingelegten Birnen, Karamellsauce und Meersalz beziehungsweise Bratapfel-Tiramisu mit Vanillecreme und karamellisierten Mandelhobeln – heben wir uns für den nächsten Tag auf. Und während mein Mann noch einen Espresso für uns zubereitet, fragt er mit verzücktem Genießerblick, ob wir uns am Heilig Abend nicht doch noch zwei Portionen Gans mit Karamellrotkohl, hausgemachten Schupfnudeln und Maronen-Birnen-Chutney gönnen sollten…
Weitere Informationen zu den Adventsmenüs und zum Festtagsmenü der Werkstatt sowie Preise und Vorbestellung unter diewerkstatt-mettingen.de.
(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 09. Dezember 2020)