Was sprießt denn da auf der Fensterbank?

Die Nachfrage nach Saatgut ist in diesem Frühjahr besonders groß, hat Annegret Munsberg vom Westerkappelner Raiffeisenmarkt festgestellt. Fotos (3): Ulrike Havermeyer

Saftige Tomaten, knackige Paprika und Möhren, die vor Vitaminen nur so strotzen – wer in Zeiten von Corona sein eigenes Gemüse anbaut, schlägt gleich zwei Fliegen mit einer Klappe: Einerseits wird er zum partiellen Selbstversorger, andererseits schafft er sich eine sinnvolle Beschäftigung. Klingt nach genau der richtigen Ablenkung für mich. Das Problem: Ich kann nicht mit Pflanzen.

Auf die Idee, Gemüse selber anzubauen, wäre ich von alleine niemals gekommen. Wie bereits erwähnt: Die Pflanzen und ich – wir sind einander nicht grün. Ich bin eher der Tier-Typ. Alles was bellt, schnurrt oder wiehert, das hat sich Ratzfatz und Hast-du-nicht-gesehen schon in mein Herz geschlichen, noch bevor mein Verstand auch nur warnend die Vorderpfote gehoben hätte. So fällt mir denn auch ausgerechnet beim Hundefutter kaufen auf, dass ungewöhnlich viele Kunden mit kleinen bunten Tütchen in den Händen durch den Laden eilen.

Bisher noch keine Liefer-Engpässe

„Stimmt“, bestätigt Annegret Munsberg, Mitarbeiterin des Raiffeisenmarktes in Westerkappeln, „die Nachfrage nach Saatgut für den privaten Gemüsegarten ist selten so groß gewesen wie in diesem Frühjahr.“  Trotz des erhöhten Bedarfs gebe es bei den Lieferanten bisher aber keine Engpässe. Neugierig geworden, was die Palette vegetarischer Möglichkeiten alles zu bieten hat, schlendere ich zum Saatgut-Regal – und beginne heftig zu schlucken. Alleine die verführerischen Verpackungsbilder von prallen Rote Beten, zartgrünen Salatblättern und üppig rankenden Erbsen lassen mir das Wasser im Munde zusammenlaufen. Denn auch, wenn ich kein Händchen für das Hegen und Pflegen von Grünzeug besitze, esse ich es doch leidenschaftlich gerne. Nur eben: gekauftes, nicht selbst angebautes.

Brave Sally! Von wegen: Ein alter Hund lernt keine neuen Tricks… Foto: Ernesto-Moses Wiebrock

Doch die Corona-Pandemie mit all ihren Einschränkungen macht auch mich häuslicher. Und vielleicht wäre es jetzt wirklich an der Zeit, unseren Tieren eine Verschnaufpause zu gönnen. Denn in den vergangenen Wochen hat sogar die gute alte Sally, unsere betagte Familienhündin, angesichts des kreativen menschlichen Beschäftigungsdefizits noch neue Tricks lernen müssen. Und dabei völlig unerwartet ihr ganz persönliches Zenit des Gehorsams erklommen: Niemals hätten wir es für möglich gehalten, dass der liebenswerte Nimmersatt das Leckerli geduldig auf der langen Schnauze balanciert, anstatt es nicht sogleich gierig zu verschlingen – und die mahnenden Kommandos wie sonst auch zu ignorieren.

Verschnaufpause für Sally

Gönnen wir den Vierbeinern also etwas Ruhe und wenden uns den Pflanzen zu, beschließe ich und entscheide mich – aus dem Bauch heraus – für Tomaten-, Möhren-, Radieschen-, Paprika-, Erbsen-, Bohnen-, Salat- und Zucchinisaat. „Dann mal viel Spaß“, sagt Annegret Munsberg und lächelt mir zu, als sie mir die Tütchen unter dem plexigläsernen Schutzfenster hindurch über den Tresen zuschiebt. Zuhause angekommen ist Sally erst mal erleichtert, dass sie ihren Napf gefüllt bekommt, ohne zuvor dreimal links- und dreimal rechts herum um die eigene Achse pirouettieren zu müssen. Frauchen hat offenbar andere Dinge im Kopf…

Viele Gemüsearten lassen sich auch in Töpfen großziehen.

Weil die Erfahrung mich gelehrt hat, dass ich über kurz oder kürzer – ohne die geringste Absicht! – jeder Pflanze den Garaus mache, bin ich erleichtert, als meine Internet-Recherche ergibt, dass die meisten der von mir gewählten Gemüsearten auch in Töpfen auf der Fensterbank zumindest vorgezogen werden können. So bleiben meine schweigsamen Zöglinge sichtbar, die Wege zu ihnen kurz und das künftige Gemüsebeet – entlegen und ungeschützt wie es wäre –  wird uns nicht vor der Zeit zum Verhängnis. In einigen Beiträgen ist von Anzucht- und Gemüseerde die Rede. Da ich weder weiß, was das ist, geschweige denn etwas mit dieser Bezeichnung besitze, schaufel ich draußen ein paar dunkelerdige Maulwurfshaufen in meinen Eimer. Leere Blumentöpfe stehen bei uns reichlich herum – wie gesagt: Ich kann nicht so gut mit Pflanzen.

Winzige Töpfchen, riesige Eimer

Die Gebrauchsanweisungen auf den Saatguttütchen reichere ich um einige Informationen an, die mir in den Online-Foren irgendwie stimmig erscheinen. Die Radieschen, heißt es da, brauchen mindestens zehn Zentimeter Erde unter sich, um ordentliche Wurzeln zu bilden. Kein Problem. Für die Tomaten und die Paprika finde ich im Keller sogar eine ganze Phalanx winziger Töpfchen – ein eigenes Zimmer für jedes Samenkorn. Na, wenn das nichts ist. Damit die Möhren auch anständig gedeihen können, wird geraten, ihnen mindestens 40 Zentimeter Wurzelfreiheit zu gewähren. Bekommen sie – in einem alten Eimer. Auch auf unterschiedliche Keimzeiten wird hingewiesen. Und schließlich stehen seit vielen, vielen Jahren wieder bepflanzte Blumentöpfe auf unserer Wohnzimmerfensterbank.

Vorfreude auf die Ernte: Vielversprechend gedeihen die Radieschen auf der zur Südseite gelegenen Fensterbank.

Das Erste, was ich zurzeit nach dem Aufstehen erledige: Das Gemüse gießen. Schon drei Tage nach der Einsaat stecken zarte Radieschen-Keimlinge ihre Köpfe ins Licht  und wachsen munter vor sich hin. Ich bin begeistert! Die Tomaten benötigen etwas länger, sobald sie kräftig genug sind, werden sie an einen kühleren Standort umziehen. In den anderen Töpfen tut sich noch nichts – doch ich wässere gewissenhaft weiter. Diesmal will ich nichts vermasseln. Und wenn mein Gemüse erst groß genug ist, dann bringe ich ihm Tricks bei! Jonglieren mit drei Radieschen – das wird ein Spaß!

(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 15. April 2020)