Lässt Hoffnung sich auch virtuell vermitteln?

Wegen der Corona-Pandemie und der damit verbundenen Schließung aller Museen ist die Ausstellung „Hoffnung“ der Draiflessen Collection derzeit nur online zu sehen. Fotos/Screenshot (3/1): Ulrike Havermeyer

Ironie des Schicksals? Spiritueller Paukenschlag? Oder einfach nur Zufall? Ausgerechnet die Ausstellung mit dem tiefgründigen Titel „Hoffnung“ der Mettinger Draiflessen Collection fällt in die bedrückende Zeit der Corona-Krise und ist deshalb – zumindest fürs Erste – nicht vor Ort zugänglich. Das Team um Kuratorin Andrea Kambartel hat die Kunstschau daher kurzerhand ins Internet verlegt. Ein digitaler Museumsbesuch – funktioniert das?

Ich hätte auf Jute getippt. Aber der Erklärtext zu Michael Buthes Werk „Hoffnung“ (1982) belehrt mich, dass der hölzerne Boden des Weinfasses, den der Künstler ins Zentrum seiner Arbeit gerückt hat – und der sogar als ätherisches Lichtobjekt komplett substanzlos auf dem Bildschirm noch genügend Kraft entwickelt, dass er den Blick des Betrachters gefangen hält – de facto nicht mit Stoff, sondern mit Blattgold überzogen ist. Hmm… Blattgold… In echt wäre mir das wohl nicht entgangen. Vielleicht wäre ich ein bisschen näher an die matt funkelnden Planken herangetreten, hätte den Kopf schief gelegt, die Knie leicht gebeugt, um verschiedene Lichteinfälle auf die Oberfläche und ihre Wirkung auf das Material und auf mich zuzulassen. Und könnte mich womöglich gar nicht satt sehen an dem atemberaubenden Kontrast, den die massiven, nun also golden funkelnden Holzbretter zu dem hauchzarten Kranz aus weißen Straußenfedern bilden dürften, der sie filigran umspielt. Hätte. Wäre. Könnte.

Jetzt präsentiert das Draiflessen-Team die zehn Werke – Gemälde, Skulpturen, Installationen, Fotografien, ein Videofilm – aus dem 20. und 21. Jahrhundert, die den finalen Teil der Ausstellungstrilogie „Glaube-Liebe-Hoffnung“ bilden, notgedrungen unter dem Motto „Closed but Open“ auf seiner Homepage als zweidimensional begrenztes, virtuelles Kunsterlebnis. Und demonstriert dadurch eindrucksvoll, wie sich mit einem beherzten Kunstgriff der Spieß des Corona-Frustes umdrehen lässt: das Prinzip Hoffnung in Echtzeitanwendung. Unfreiwillig aktuell und geradezu beängstigend relevant. Aber: Taugt das digitale Museum als Ersatz für analoge Sinneseindrücke?

Wie kommuniziert man mit einem Kunstwerk?

Bedächtig scrolle ich mich von Joseph Beuys zu Anna Oppermann, von Antoni Tàpies zu Wolfgang Mattheuer. Klicke hier einen Audioimpuls von Kuratorin Andrea Kambartel an, dort ein eigentlich für das jüngere Publikum konzipiertes Arbeitsblatt. Stöbere in den Blogbeiträgen und den Kommentaren der Gäste herum. Und fühle mich trotz aller gut gemeinten und gut gemachten Museumspädagogik doch merkwürdig alleine. Denn selbst wenn ich mit dem Finger über das Display streiche, bleiben mir Beuys Schlitten und Lee Buls Cyborg fern. Und ich ihnen. Hätte das Coronavirus nicht das öffentliche Leben lahmgelegt und wären nicht sämtliche kulturelle Angebote abgesagt, könnte man sich die kunstgewordenen Hoffnungsträger auch direkt im Museum anschauen – die Exponate sind allesamt vorhanden und aufgebaut. Die Infozettel liegen bereit. Die Guides für die Führungen sind geschult. Hätte. Wäre. Könnte.

Offene Türen luden noch zum Flanieren durch die ersten beide Teilen der Ausstellungstrilogie Glaube-Liebe-Hoffnung ein. Derzeit müssen sich Kunstfreunde mit einem Online-Besuch begnügen.

Während mich die Fotografie „Grandpa Goes to Heaven“ (1989) von Duane Michals und die Zeichnung „Die Spur führt über den Berg“ (1995) von Philippe Vandenberg, die beide eher puristisch gestaltet sind und auf Farbigkeit und optische Effekte verzichten, auch auf dem Monitor durchaus ansprechen, will der Funke bei anderen Arbeiten allerdings nicht sofort überspringen. Was fehlt? Vielleicht liegt es daran, dass die virtuell präsentierten Exponate trotz ihrer unbestreitbaren Faszination am Ende dann doch flach und in der gleichförmigen Starre ihrer Perspektive und ihres Formats gefangen bleiben. Wer sich der Kunst annähern und einen individuellen Zugang zu ihr finden möchte, der geht am besten ein paar Schritte auf sie zu. In echt. Um sie herum. Probiert unterschiedliche Blickwinkel aus. Lässt ungewohnte Perspektiven zu. Nimmt zugleich auch den Raum wahr, der sie zum Wirken bringt. Die Architektur, die sie umgibt. Das besondere Licht im Museum. Die meditative Atmosphäre. Die konzentrierte Stille, die nur manchmal vom Gemurmel der anderen Museumsbesucher durchbrochen wird. Flaniert entspannt durch ein buntes, reizvolles, inspirierendes, provozierendes und so wunderbar von der Materie geprägtes Paralleluniversum voller Indikative – hat, ist, wird.

Vieles ist (noch) möglich

Fast schon visionär schreibt das Museums-Team im Einleitungstext zur Ausstellung: „Die Draiflessen Collection widmet sich (…) dem Konzept Hoffnung als einem Prinzip der Offenheit gegenüber faktisch (noch) nicht verfügbaren Möglichkeiten“. Von denen gibt es in Zeiten der aktuellen Corona-Pandemie erschreckend viele. Gut also, dass die Mettinger Kulturschaffenden ein digitales Schlupfloch eingerichtet haben, das es jedem Kunstinteressierten nun ermöglicht, vom eigenen Schreibtisch oder Sofa aus kostenlos und rund um die Uhr die Ausstellung zu besuchen. Und beim allabendlichen Betrachten eines mit Blattgold überzogenen Weinfassbodens fest daran zu glauben, diesem auch bald in der realen Welt gegenübertreten zu können. Hoffentlich.

Ob das Museum nach Ostern öffnen kann, steht zurzeit noch in den Sternen. Niemand kann absehen, wann sich die Pandemie abschwächt und sich die Lage wieder entschärft.

Die Ausstellung „Hoffnung“ ist noch bis zum 21. Juni 2020 in der Draiflessen Collection in Mettingen, Georgstraße 18, aufgebaut. Vorerst ist sie wegen der aktuellen Corona-Pandemie bis einschließlich 14. April geschlossen und nur über die Homepage des Museums auf www.draiflessen.com oder dessen Social-Media-Kanäle (Facebook: @DraiflessenCollection; Instagram: @draiflessencollection; Twitter: @draiflessencoll) zugänglich. Dort finden sich auch alle weiteren Informationen.

(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 2. April 2020)