Wünschelruten irren nicht

In Wasser aufbewahrt, lässt sich der Eichenzweig rund vier Wochen lang als Wünschelrute benutzen. Danach schneidet sich Heinrich Hövelbernd einfach einen neuen.
In Wasser aufbewahrt, lässt sich der Eichenzweig rund vier Wochen lang als Wünschelrute benutzen. Danach schneidet sich Heinrich Hövelbernd einfach einen neuen. Foto: Ulrike Havermeyer

Obwohl es keine wissenschaftlichen Beweise für ihr Tun gibt, werden Rutengeher doch häufig mit zu Rate gezogen, wenn es um das Auffinden von Wasseradern und das Anlegen von Brunnen geht. Was ist dran, am „Wünscheln“? Um das herauszufinden, statten wir dem Westerkappelner Rutengeher Heinrich Hövelbernd einen Besuch ab.

Nein, die stattlichen Rotbuchen, unter deren ausladenden Kronen wir durchs Laub stapfen, bilden nicht die Kulisse des „Verbotenen Waldes“ der magischen Welt von Harry Potter. Aber das kleine Gebüsch in Seeste könnte dennoch ein Zauberwald sein – zumindest mit etwas Phantasie. Und der ältere Herr, der da in kerzengerader Haltung und mit hochkonzentriertem Blick vor mir her stiefelt, ist auch nicht Albus Dumbledore. Könnte er aber – mit etwas mehr Phantasie: denn er trägt keinen Bart – durchaus sein. Auch das dürre kleine Eichenzweiglein, das Heinrich Hövelbernd, denn um ihn und seine besonderen Fähigkeiten geht es hier, andächtig vor sich her balanciert, scheint nicht unserer üblichen Realität zu entstammen: Ist diese zierliche Wünschelrute vielleicht doch ein Zauberstab? Und überhaupt: Wie viel Übersinnliches ist mit am Werke, wenn ein Stückchen Holz in der Hand eines besonderen Menschen mehr als zehn Meter tief verlaufende Wasseradern anzuzeigen im Stande sein soll? Alles Humbug? Psychologische Selbsttäuschung? Oder sind hier womöglich Kräfte im Spiel, die sich dem wissenschaftlichen Zugriff schlichtweg entziehen? Denn Beweise für die Echtheit von dem, was mir der 67-jährige ehemalige Landwirt hier gerade vorführt, gibt es offiziell keine. Doch allen fehlenden Belegen zum Trotz, neigt sich das Stöckchen in Hövelbernds Händen zielsicher dem Erdboden entgegen.

„Aus Jux und Dollerei“

„Dass ich das kann“, überlegt Heinrich Hövelbernd und hält kurz inne, „das habe ich so vor dreißig, vierzig Jahren entdeckt.“ Er betrachtet versonnen den Eichenstab in seiner Hand und lächelt stolz. „Eigentlich habe ich das damals bloß aus Jux und Dollerei mal ausprobieren wollen.“ Sein Schwiegervater Heinrich Mennewisch sei ein Rutengänger gewesen. Und auch dessen Vater beherrschte das geheimnisumwitterte Handwerk. Inspiriert von den Erfolgen seiner Verwandtschaft habe er zum Stöckchen gegriffen – „Und bei mir schlug die Rute noch viel heftiger aus als bei ihnen.“ Seitdem rufen die Nachbarn ihn an, wenn es darum geht, einen neuen Hausbrunnen anzulegen. Oder, wenn jemand nicht gut schläft und eine Wasserader unter seiner Bettstelle vermutet. Nicht nur in Seeste. „In Westerkappeln suche ich regelmäßig nach Wasser, in der Gemeinde Lotte, in Tecklenburg, in Georgsmarienhütte“, zählt der ehemalige Landwirt auf. „Sogar für die Fachhochschule in Osnabrück Haste war ich schon tätig.“ Für die der Rutengängerei doch eher skeptisch gegenüberstehenden Akademiker sollte er den optimalen Standort für eine Bewässerungsanlage herausfinden. Und – hatte er Erfolg? „Ja, natürlich“, sagt Hövelbernd, scheinbar irritiert über die Frage. „Die Wünschelrute zeigt das Wasser ja zuverlässig an – da kann ich gar nichts dran ändern.“ Und, so seine feste Überzeugung: Wünschelruten irren nicht. „Bisher habe ich noch jedes Mal Wasser gefunden.“

Die Spur des Wassers

Er nimmt die Rute wieder auf, atmet durch, sammelt sich – und lenkt seine Schritte weiter durch den Wald. Meter um Meter um Meter – da! Schlagartig senkt sich die Spitze des Zweiges. Von der Gegenseite aus gelaufen, bestimmt Hövelbernd nun die Breite des unterirdischen Quells. Immer wieder kreuzt er mit seinem Holz den Verlauf der Wasserader, und immer wieder antwortet das Stöckchen mit einer deutlichen Bewegung. Wir folgen beharrlich der Spur – und treffen unvermittelt auf eine knorrige, alte Eiche: der Länge nach aufgespalten ragt sie wie ein Monument der Zerstörung direkt vor uns aus dem Boden. Das gestern noch saftig grüne Laub beinahe verwelkt. Voldemort! – schießt es mir durch den Kopf. „Ganz klar“, zeigt sich der Rutengänger sachlicher als seine staunende Beobachterin, „der Baum wurzelt mitten auf der Wasserader – da schlägt ein Gewitterblitz natürlich am liebsten ein.“

Nichts Übernatürliches

Als einen mit besonderen, gar mit übernatürlichen Kräften ausgestatteten Menschen sieht der Seester sich trotz seines unerklärbaren Talents nicht. „Bei dem einen funktioniert das – bei dem anderen nicht“, beschreibt er das rätselhafte Phänomen: „Viele könnten das wahrscheinlich auch, bloß sie wissen es gar nicht.“ Das klingt ja beinahe wie eine Einladung, denke ich. Ob am Ende etwa auch ich …? Hövelbernd legt mir die kleine Zweiggabel in die Hände – Ellenbogen fest gegen die Nieren pressen, Handflächen nach oben, Daumen nach außen, das Stöckchen fest gegen die Daumenkuppen drücken, eine leichte Spannung aufbauen. Dann marschiere ich los. Mit einem erwartungsvollen Kribbeln im Bauch kreuze ich die Stelle, wo der Meister die Wasserader bestimmt hat – keine Reaktion. Nochmal – wieder nichts. Hövelbernd zuckt bedauernd mit den Schultern: „Klappt eben nicht bei jedem“, sagt er schlicht. Vielleicht, überlege ich, ist es auch nur die falsche Wünschelrute für mich. Denn, wer seinen Harry Potter gelesen hat, weiß schließlich: Es ist der Zauberstab, der sich seinen Besitzer aussucht – und nicht die Journalistin.

(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 30.09. 2015; Westfälische Nachrichten, 30.09.2015)