Eine manchmal überbordende Beziehung

Seinen Lieblingsplatz, eine zumindest in Ansätzen naturnah gestaltete Stelle an der Düsterdieker Aa, hat sich Heinz Cyrull in den vielen Diskussionen zwischen Landwirten und Umweltschützern hart erstritten. Foto: Ulrike Havermeyer

Heinz Cyrull und die Düsterdieker Aa – ein Mann und sein Entwässerungsgraben. Seit mehr als sechzig Jahren kreuzen sich die Wege des Landwirts und der Lauf des Vorfluters – was die Beziehung der beiden, zurückhaltend formuliert: manchmal etwas überbordend gestaltet.

Regnet es viel, tritt das ansonsten still plätschernde Gewässer, in dem Cyrull als Kind gerne und oft herumgeplanscht hat, über die Ufer und überflutet die angrenzenden Wiesen und Äcker. Für Cyrull und seine Landwirtskollegen wird es dadurch nicht leichter, die Felder zu bewirtschaften.

„Besucher von außerhalb sind immer ganz angetan, wenn sie die Düsterdieker Niederung zum ersten Mal erleben“, sagt Heinz Cyrull. Mit einer Fläche von rund 2700 Hektar ist die grüne Ebene, die sich zu beden Seiten der Aa über die Bauerschaften Westerbeck und Seeste erstreckt, eines der größten zusammenhängenden Feuchtwiesengebiete in Nordrhein-Westfalen. „Wiesen, soweit das Auge reicht – wo sonst gibt es das in unserer Gegend?“, fragt der 64-Jährige.

Und auch, wenn er als Landwirt und Vorsitzender des Unterhaltungsverbands Düsterdieker Aa berufsbedingt manches aus einem anderen Blickwinkel betrachtet, so ist sein Stolz auf das Naturschutzgebiet und auf dessen spröde Schönheit doch deutlich herauszuhören.

Vorsichtig stakst Cyrull die abschüssige Böschung entlang bis dorthin, wo der Westerbecker Graben in die Düsterdieker Aa mündet. „Ab hier funktioniert alles gut“, ruft er, deutet in Richtung Mettingen und beobachtet, wie das Wasser im gräsernen Bett des Vorfluters vor sich hin dümpelt: Vor rund 15 Jahren ist die Aa auf einer Länge von zwei Kilometern ausgebaut und ihre Sohle verbreitert worden. „Genau hier haben wir Dutzende Male zusammen gestanden und miteinander verhandelt“, berichtet Cyrull und schnauft bei der Erinnerung an die vielen Treffen tief durch.

‚Wir‘ – das steht vor allem für die Vertreter des Unterhaltungsverbands, der Landwirtschaft und des Naturschutzes. Unterschiedliche Ziele. Unterschiedliche Herangehensweisen. Jede Menge Konfliktpotenzial. „Aber an dieser Stelle kann man sehen, dass die ganze Diskutiererei schließlich auch zu etwas Gutem geführt hat“, bilanziert Cyrull und sieht erleichtert aus: „Hier befindet sich also mit Fug und Recht mein Lieblingsplatz.“

Auf der anderen Seite der kleinen Brücke in Richtung Seeste verläuft die Düsterdieker Aa allerdings noch immer ziemlich eingeengt zwischen den Feldern hindurch. Eben genau so, wie das künstliche Gewässer Mitte des vergangenen Jahrhunderts im Zuge der Flurbereinigung – als der Umweltschutz noch keine nennenswerte Rolle spielte – angelegt worden ist.

„Man muss einfach sagen“, schüttelt Heinz Cyrull den Kopf, „dass die Düsterdieker Aa damals viel zu klein dimensioniert worden ist. Darum haben wir heute diese Probleme.“ Sprich: Tritt die Aa über die Ufer, überfluten nicht nur die landeseigenen Feuchtwiesen im Naturschutzgebiet, sondern auch die durchaus intensiv bewirtschafteten Flächen der Landwirte. „Passiert das im Sommer, ist ein Großteil der Grasernte schnell dahin“, gibt der Landwirt zu bedenken.

Zweimal, wegen der milden Witterung in letzter Zeit oft sogar dreimal im Jahr, mähen die Mitarbeiter vom Unterhaltungsverband das verzweigte Netz ihrer Entwässerungsgräben. „Wir sind dafür verantwortlich, dass das Wasser im Vorfluter ungehindert ablaufen kann“, betont Cyrull. „Und diese Aufgabe nehmen wir sehr ernst.“

Doch von woher stammt das ganze Wasser, das sich da durch die gut zehn Kilometer lange Düsterdieker Aa zwängt ? „Das meiste kommt aus den versiegelten Flächen des Ortskerns“, erklärt der Seester Landwirt. „Alles Regenwasser, was auf die Parkplätze vor den großen Einkaufsmärkten fällt, aus den Siedlungen, aber auch über die Regenrückhaltebecken – das alles fließt in die Düsterdieker Aa.“

Und mit jedem neuen Baugebiet schreite die Versiegelung weiter voran. Ein zusätzliches Problem: „Das Gefälle unserer Aa liegt im Promillebereich – es dauert also ohnehin lange, bis sie das Wasser weiter zur Mettinger Aa transportiert hat.“ Von dort aus fließt es in die Recker Aa und schließlich in die Ems.

Cyrull friemelt ein Foto aus seiner Jackentasche: Nein, kein Wattenmeer zwischen Ebbe und Flut– auch wenn es so aussieht. Das Bild zeigt „Land unter“ in der Düsterdieker Niederung am vergangenen Weihnachten nach zwei Tagen Dauerregen über Westerkappeln. Der 64-Jährige seufzt.

Die Aufnahme will er beim nächsten Treffen im Rathaus am 12. Februar 2015 den Leuten zeigen, die für die Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) zuständig sind. Darin wird unter anderem eine naturnahe Bewirtschaftung der Düsterdieker Aa angestrebt: Die Böschung des ohnehin schon träge fließenden Gewässers nur noch einmal im Jahr mähen ? „Da haben wir erhebliche Bedenken“, sagt Heinz Cyrull.

Er und seine Mitstreiter wollen den Planern stattdessen etwas anderes vorschlagen: Sie finden es sinnvoller, den Uferbereich der Düsterdieker Aa an einigen Stellen zu großflächigen Auen aufzuweiten, in denen sich das Wasser ungehemmt ausbreiten und die Natur ungestört entwickeln kann.

Ein letzter Blick über seinen Graben, dann kraxelt Heinz Cyrull den sanften Hang an der Seite des Gewässers wieder hinauf. „Mit der Umsetzung der WRRL sind wir weiter auf dem Weg“, sinniert er. Es dürften also wohl wieder einige wortreiche Diskussionen anstehen – hier, an der Böschung seines Lieblingsplatzes.

(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 28.01.2015)