Am Weltuntergang wird noch geschraubt

Während düstere Endzeit-Landschaften über die Leinwand flirren, machen es sich die Zuschauer der Apokalypse auf kuscheligen Sitzsäcken bequem. Fotos (4): Ulrike Havermeyer

Am Weltuntergang wird noch geschraubt. Während einige der Vernichtung bringenden Monster artig auf dem Fußboden warten, sind die Katastrophen schon fachgerecht an den Wänden installiert. Auch die gemütlichen Sitzsäcke für die Zuschauer der Apokalypse stehen bereit.

Etwas aus der Puste, biegt Museumsdirektorin Corinna Otto kurz vor knapp zum Pressegespräch um die Ecke der Mettinger Draiflessen Collection und lässt sich auf ihren Stuhl fallen. Erstmal einen Schluck Kaffee. „Seit wir feste Öffnungszeiten eingerichtet haben und mehrere Ausstellungen pro Jahr zeigen“, atmet sie tief durch und lächelt etwas gehetzt, „verkürzt sich die Zeit für die jeweiligen Umbauphasen.“ Kaum sind Baselitz, Richter und Polke draußen, scharren Dürer, Rosefeldt und Gerson bereits ungeduldig mit den Hufen.

Noch befindet sich der Weltuntergang in der Draiflessen Collection im Aufbau.

Neues Konzept geht auf

Eine Herausforderung, bestätigt Corinna Otto und führt die Tasse ein weiteres Mal zum Mund. Aber das neue Konzept, die Türen der 2009 von der Unternehmerfamilie Brenninkmeijer gegründeten Draiflessen Collection regelmäßig für Besucher offen zu halten, gehe erfreulich gut auf. „Die vorherige Ausstellung ,Dem Bild gegenüber‘ haben im Schnitt 40 Gäste pro Tag gesehen“, berichtet die Museumsleiterin. Aus Sicht der großen Häuser in den großen Städten sei diese Zahl sicherlich nur ein Schmunzeln wert, aber für das kleine und eher abgeschieden gelegene Mettingen, ein durchaus ansehnlicher Erfolg.

Großformatige Originalholzschnitte

Nach schwebenden Manteltieren und ätherischen Choralklängen jetzt also „Der Fall der Sterne“. Die beiden Kuratorinnen des Weltendes, Andrea Kambartel und Iris Ellers, lotsen uns mitten hinein in dessen – an diesem Vormittag noch unvollendete – Dramaturgie: großformatige Originalholzschnitte, blutrot unterlegte Reproduktionen, düstere Landschaften auf einer Kinoleinwand. Der Aufbau des Untergangs ist vielversprechend. „Es wird nicht nur bildgewaltig“, kündigt Corinna Otto an und erhebt ihre Stimme gegen einen voluminösen Klangteppich: „Auch der tiefe und manchmal geradezu Herzfrequenz beeinflussende Sound, mit dem Julian Rosefeldt seine Videoinstallation ,In the Land of Drought‘ unterlegt, ist beeindruckend.”

Während im Hintergrund Julian Rosefeldts Videoinstallation „In the Land of Drought“ zu sehen ist, liegt sicher in der Vitrine verwahrt eines von weltweit nur noch 13 erhaltenen Originalausgaben von Albrecht Dürers Johannesoffenbarung.

Soundtrack der Apokalypse

Rosefeldts opulente Endzeit-Komposition bringt bereits im Eingangsbereich der Draiflessen Collection das Innere des Besuchers zum Vibrieren. Die Töne wummern und dröhnen, rauschen, wispern und zischeln, wehen und wälzen sich durch die Ausstellungssäle bis in den letzten Winkel der Räume – und tief hinein in das Gemüt des Betrachters. Dem wuchtigen Soundtrack der Apokalypse kann auch ich mich nicht entziehen. Welche Stimmungen und Gefühle, Bilder und Erinnerungen die geradezu meditativ angelegte Musik bei jedem Einzelnen freispült? Dass gerade das individuelle Erleben zur Kunst gehört, haben die Mettinger schon in ihrer vorherigen Ausstellung vermittelt. Und so verzichten die Kuratoren in bewährter Weise auch diesmal auf eine Beschilderung der Exponate.

Der Roland Emmerich des Mittelalters?

Denn die Werke wirken tatsächlich auch ohne große Erklärung. Und das Thema Apokalypse sei schon immer populär gewesen: „Die Vorstellung des Weltuntergangs hat die Menschen zu allen Zeiten fasziniert“, sagt Corinna Otto. Als Albrecht Dürer im Jahre 1498 die ganzseitigen Holzschnitte vom Kampf der Engel und dem Fall der Sterne in seiner Johannesoffenbarung veröffentlicht hat, hätten seine Darstellungen die Menschen womöglich ganz ähnlich aufgewühlt wie zu unseren Zeiten das Genre der Endzeitdramen. War Albrecht Dürer also gar der Roland Emmerich des Mittelalters? Ein versierter Blockbuster-Regisseur der finalen Katastrophe? Gut möglich – und ein Blick auf den vergilbten Folianten in der Vitrine lohnt sich allemal: „Wir sind schon ziemlich stolz auf dieses Buch“, gibt Iris Ellers unumwunden zu: Denn von den weltweit nur 13 erhaltenen Exemplaren der Dürerschen Johannesoffenbarung verfügt das kleine Museum in Mettingen über eines von ihnen – und das ist auch noch vollständig und zudem besonders gut erhalten.

Starker Tobak für zartbesaitete Besucher

Sogar um ein absolutes Unikat handelt es sich bei dem unscheinbaren Büchlein, das in einer weiteren Vitrine ausgestellt ist, betont Ellers: Auch dessen Verfasser, Dürers Zeitgenosse Johannes Gerson, hat sich unübersehbar emotional mit dem Weltuntergang beschäftigt und zur Warnung seiner Mitmenschen die Vorboten des Jüngsten Gerichts in abschreckende Bilder und wahre Horror-Szenarien gebannt. Ganz schön starker Tobak für eine Ausstellung, die darauf hofft, möglichst viele Besucher für sich zu begeistern…

Auch im eher weltfernen Mettingen etabliert sich langsam aber sicher die große Kunst. Mit der Ausstellung „Der Fall der Sterne“ wagt das Museumsteam einen Blick auf die Apokalypse.

Jedem Ende wohnt ein Anfang inne…

So gänzlich schauerlich und hoffnungslos sei das Ganze nun wiederum auch nicht: „Denn nach christlichen Vorstellungen“, gibt Andrea Kambartel zu bedenken, „ist die Apokalypse ja nur der Übergang in eine neue Welt – und nach jedem Ende folgt immer wieder ein Anfang.“ Wie der aussehen könnte, lassen Julian Rosefeldts Drohnenflüge über wild zerklüftete Gebirge und die kargen Industriebrachen des Ruhrgebietes erahnen. Denn wer sich in einen der trostvollen Sitzsäcke kuschelt und genau hinschaut, entdeckt immer wieder weißgekleidete Gestalten inmitten der Ödnis, die emsig durch die unwirtlichen Kulissen wuseln. Überlebende? Forscher? Außerirdische? Die Antwort darauf, sagt Corinna Otto, bleibe dem Betrachter selbst überlassen. Denn schließlich sei die Beschäftigung mit Kunst immer auch ein Abenteuer mit offenem Ausgang.

Feste Öffnungszeiten, regelmäßige Führungen

„Der Fall der Sterne“ ist ab heute bis zum 26. August 2018 zu sehen. Die Macher bieten regelmäßige Führungen, ein museumspädagogisches Begleitprogramm sowie einen ausführlichen Ausstellungskatalog an. Die Draiflessen Collection, Georgstraße 18, in Mettingen ist mittwochs bis sonntags von 11 bis 17 Uhr, an jedem ersten Donnerstag im Monat von 11 bis 21 Uhr geöffnet. Weitere Informationen unter Telefon 05452/91680 oder auf der Homepage www.draiflessen.com.

(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 21.03.2018)