Wissen, wie der Hase läuft

Ruhe und Besonnenheit sind nötig, wenn der angehende Jungjäger sich auf die Pirsch vorbereitet. Bezirksförster Gerd Holzgräfe begleitet Sara Dirkes-Hassig durch ihre Jägerprüfung. Fotos (2): Ulrike Havermeyer

Wer als Neuling die Büchse schultern und seinen eigenen Rehbraten nach Hause bringen will, muss vorher richtig büffeln. Regelmäßig bietet die Jagdschule Bersenbrück Lehrgänge über fünf Monate oder auf sieben Wochenenden verteilte Crashkurse zur Vorbereitung auf die Jägerprüfung an. Das zu absolvierende Pensum ist beträchtlich.

Was hat Einfluss auf die Zahl der Ricken, die in einem Rehbockrevier stehen? Antwort: Die Qualität des Lebensraums als Setzplatz. Wie groß ist die Anfangsgeschwindigkeit der Geschosse mittlerer Büchsenkaliber für Zentralfeuerpatronen? 700 bis 1000 Meter pro Sekunde. Nennen Sie den Geltungsbereich des Jagdscheines in Deutschland! Er gilt im gesamten Bundesgebiet (Quelle: Niedersächsisches Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz).

Erhalt der Kulturlandschaft im Visier

Ein Sprung Rehe in der Kulturlandschaft. Foto: Vera Buhl

66 Männer und 26 Frauen haben in diesem Frühjahr im Landkreis Osnabrück  nicht nur die Antworten auf diese und viele weitere Fragen gewusst, sondern außer in der Theorie auch noch in der Schießprüfung und im mündlich-praktischen Teil des Abschlusstestes geglänzt – und somit ihre Jägerprüfung bestanden. Damit haben die Jungjäger die Lizenz erhalten, einen Jagdschein beim Landkreis Osnabrück zu lösen – was sie wiederum dazu berechtigt, eine Waffenbesitzkarte zu erwerben und sich einer Jagdgemeinschaft anzuschließen. Doch statt Hase, Reh und Co nehmen die meisten Grünröcke heute viel häufiger den Erhalt der Kulturlandschaft ins Visier. Biotop- und Artenschutz stehen genauso auf dem Lehrplan der angehenden Waidmänner wie Ökologie und Landschaftspflege. Auf den Weg zum grünen Abitur hat sich auch Sara Dirkes-Hassig aus Weese gemacht.

Gute Augen und eine ruhige Hand

Als die 28-jährige Lehrerin, die an der Grundschule in Merzen unterrichtet, an diesem Morgen zum großen Finale antritt, dem Reviergang durch die Wälder des Hofes Meyer zu Starten bei Ankum, liegen die Theorie- und Schießprüfung bereits hinter ihr: In einem Multiple-Choice-Test hat sie Hundert Fragen zu fünf Fachgebieten beantwortet: über die dem Jagdrecht unterliegenden und andere freilebende Tiere; zu Jagdwaffen und Fanggeräten; über Naturschutz, Hege und Jagdbetrieb; über Wildkrankheiten, Jagdhundewesen und Brauchtum; zum Jagdrecht. Ein gutes Auge und eine ruhige Hand hatte die Pädagogin bereits ein paar Wochen zuvor auf dem Schießstand in Döllinghausen bewiesen: Hier galt es für die Prüflinge, mindestens fünf von 15 Tontauben zu treffen, mindestens 25 von 50 möglichen Ringen beim Schuss auf eine Rehbockattrappe zu erzielen sowie eine bewegte Wildschweinscheibe bei insgesamt fünf Schussoptionen wenigstens dreimal zu treffen.

Die Wildschwein-Population ist in den vergangenen Jahren stark angewachsen.

Die Natur besser verstehen lernen

„Ich stamme nicht aus einem Jägerhaushalt“, beschreibt Sara Dirkes-Hassig ihr bis vor einigen Monaten noch eher distanziertes Verhältnis zu Wild, Wald und Flur. Jedoch hat sie mittlerweile in einen solchen eingeheiratet: „Mein Schwiegervater ist passionierter Jäger – und gemeinsam mit meinem Mann Sebastian habe ich mich Anfang des Jahres für den Crashkurs bei der Kreisjägerschaft angemeldet.“ Ihre Hauptmotivation: „In den Gesprächen mit meinem Schwiegervater, aber auch durch die Fragen der Grundschüler habe ich festgestellt, dass ich viel zu wenig über die Natur weiß“, sagt sie, „das wollte ich ändern.“ Und – hat sie, unabhängig vom Ausgang der Jägerprüfung, dieses selbst gesteckte Ziel erreicht? Die Waidmännin in Spe lacht gequält auf: „Als Lehrerin bin ich Prüfungssituationen ja durchaus gewöhnt“, sagt sie, „aber ich weiß wirklich nicht, ob ich schon jemals so viele Sachen auswendig gelernt habe – meine Artenkenntnis hat sich jedenfalls um mehrere Hundert Prozent vergrößert…“

Wie Waldjugendspiele für Erwachsene… An insgesamt fünf Stationen müssen die Prüflinge ihr Wissen unter Beweis stellen.

Waldjugendspiele für Erwachsene?

Ob ihre in den vergangenen Wochen verinnerlichten Kenntnisse für das Bestehen des grünen Abiturs ausreichen, wird sich in den kommenden Stunden zeigen. An fünf Stationen haben die zehn von Kreisjägermeister Martin Meyer Lührmann ernannten Prüfer knifflige Aufgaben vorbereitet – das Ganze erinnert ein bisschen an Waldjugendspiele für Erwachsene: Allerlei ausgestopfte Tierpräparate sind an den Ständen drapiert, dazu Federn, Vogeleier, verschiedene Fellbalge, Büchsen, Flinten, Lebendfallen – die aufgefahrenen Requisiten bilden eine eindrucksvolle, für den einen oder die andere vielleicht sogar ein wenig einschüchternde, Kulisse.

Treiber in den Kessel!

Zur Begrüßung stoßen nun erst einmal die Jagdhornbläser in ihre Instrumente: Hahn in Ruh‘, Treiber in den Kessel und der Jägernotruf erklingen. Allerdings dient das kleine Ständchen keineswegs nur der Aufmunterung. „Wer die hier vorgetragenen, sicherheitsrelevanten Jagdleitsignale nicht erkennt“, erklärt Kreisjägermeister Meyer Lührmann, „der muss die Prüfung wiederholen.“ Sara Dirkes-Hassig kneift konzentriert die Augen zusammen, lauscht aufmerksam und nickt zuversichtlich vor sich hin. Ob die Antworten, die sie auf ihrem Zettel notiert, stimmen, erfährt sie allerdings erst am folgenden Abend, wenn alle 68 Prüflinge der Jagdschule Bersenbrück ihr Pensum absolviert haben.

Alles über Lang-, Kurz- und Blankwaffen

An der ersten Station warten bereits die Prüfer Malies Gerdemann und Heinrich Bollmann, die vor sich eine Phalanx aus Gewehren und Fallen ausgebreitet haben. Buchstäblich wie aus der Pistole geschossen feuert Sara Dirkes-Hassig ihr Wissen über Lang-, Kurz- und Blankwaffen, über Kaliber und Munitionsarten ab. Beim fiktiven Schuss auf ein fiktives Wildschwein demonstriert sie anschließend den korrekten Umgang mit der Büchse und erklärt souverän, welche Sicherheitsmaßnahmen es zu beachten gilt. „Das hat richtig Spaß gemacht“, verabschiedet sich Heinrich Bollmann von der jungen Weeserin, „wie Sie so zack, zack alles beantwortet haben.“ Sara Dirkes-Hassig atmet tief durch, ein kurzes Lächeln huscht über ihr Gesicht. Die erste Hürde ist geschafft.

Bestens getarnt ist die Waldschnepfe am Waldboden. Sie ernährt sich vor allem von Würmern.

Jede Menge Artenkenntnis gefragt

Ein paar Hundert Meter weiter im Wald parkt das Infomobil der Jägerschaft, das einen stattlichen Fundus heimischer Wildtier-Präparate sowie deren Gebisse und Schädel beherbergt. Hier ist Artenkenntnis gefragt – das mühsame Auswendiglernen zahlt sich aus. Nicht nur wie eine Stockente aussieht, kann Sara Dirkes-Hassig an den Mann bringen, sondern auch, dass deren Brutzeit zwischen 26 und 29 Tage dauert. Wildkaninchen (28 Zähne, Tragzeit: 28 bis 31 Tage), Marderhund (42 Zähne, Tragzeit: 60 bis 64 Tage), Waschbär (40 Zähne, Tragzeit: 63 bis 64 Tage) – alles kein Problem. Kommentar von Prüfer Wolfgang Thäsler: „Volltreffer!“

Die tückischen Gefilde der Gefiederten

Station drei beschäftigt sich mit dem Naturschutz und der Hege. Auch hier gilt wieder: Nur was der Mensch kennt, kann er entsprechend schützen. Detailfreudig arrangierte Gelege locken die potenzielle Jägerin in die tückischen Gefilde der Gefiederten: Wie unterscheiden sich die Eier der Waldschnepfe von denen des Großen Brachvogels? Sara Dirkes-Hassig gerät ins Grübeln. Prüfer Klaus Overbeck und Gerd Holzgräfe nicken ihr aufmunternd zu. Alles wissen, wiegeln sie beschwichtigend ab – das könne schließlich niemand. Als sich die drei dann den verschiedenen Pflanzenarten zuwenden, ist die Welt auch schon wieder im Lot: Wenn es um Lärche, Kiefer und Kastanie geht, macht der Grundschullehrerin keiner etwas vor.

Gar nicht so schlimm wie befürchtet…

„Ich bin immer noch ganz schön nervös“, gesteht die gebürtige Südmerzenerin auf dem Weg zur nächsten Station. „Bei all den Fakten, die wir gelernt haben – da besteht dauernd die Gefahr, etwas durcheinander zu bringen…“ Auf der anderen Seite ist sie froh darüber, dass sie vieles von dem, was sie gelernt hat, bereits bei den Prüfern loswerden durfte. Und so läuft es denn auch an den beiden letzten Stationen weiter erfreulich rund für Sara Dirkes-Hassig, an denen es um Brauchtum und Hygiene sowie um das Jagdrecht geht. „Das war zwar sehr anstrengend“, resümiert sie nach dem Reviergang, „aber gar nicht so schlimm, wie ich befürchtet habe.“ Und Martin Meyer Lührmann, der die Weeserin an diesem Morgen bei ihrer mündlich-praktischen Prüfung begleitet hat, verrät schon einmal, dass das eine außergewöhnlich gute Leistung gewesen sei. Am nächste Abend bekommt sie es dann ganz offiziell per Urkunde bescheinigt: Sara Dirkes-Hassig weiß jetzt, wie der Hase läuft.

So geht’s: Flinker Feldhase. Foto: Frank Liebig

(Erschienen in: Bersenbrücker Kreisblatt, 10.06.2017)