Von der Faszination eines smarten Lippenblütlers

In Purpur und Weiß erstrahlen die Blüten des Lerchensporns auf dem Freeden. Je größer der Blütenteppich, desto beeindruckender das Naturerlebnis. Fotos (5): Ulrike Havermeyer

Immer wieder schaffen es Narzisse, Krokus und Co. mich zu überrumpeln: Auf einmal ist er da – der Frühling! Die Meisen singen und die Apfelbaumknospen stehen in den Startlöchern. Wer sich von der beeindruckenden Pracht eines ganz besonderen Frühlingsboten inspirieren lassen möchte, der solle sich den Blütenreichtum des Lerchensporns auf dem Freeden auf keinen Fall entgehen lassen, reden meine Schwiegereltern schon seit geraumer Zeit auf mich ein.

In diesem Jahr habe ich mir fest vorgenommen, die so oft gerühmte Freedenblüte endlich zu besuchen und mich der von Maria Woll, Wanderführerin der Stadt Bad Iburg, angebotenen Führung zu den Lerchenspornbeständen anzuschließen. Bevor ich zuhause meine Stiefel zuschnüre, werfe ich noch schnell einen Blick ins eigens für das florale Spektakel vom Natur- und Geopark Terra vita entwickelte Freedometer, das unter www.geopark-terravita.de täglich über den Entwicklungsstand – und damit auch die optischen Reize – der Lerchenspornblüte informiert. Denn im Wettkampf um die belebenden Strahlen der Sonne ist der Hohle Lerchensporn (Corydalis cava) unter den Frühblühern einer von der ganz schnellen Sorte. Zwischen seinem Knospen und Verblühen liegt, je nach Witterung, kaum mehr als eine Woche. Wer also das Blütenmeer in seiner ganzen Wucht genießen möchte, sollte den optimalen Zeitpunkt nicht verpassen.

Freedometer informiert tagesaktuell

Na, wer sagt’s denn, freue ich mich, als mir das Freedometer signalisiert: „Langsam geht es in Richtung Vollblüte.“ Der Pfeil auf der Skala, die von eins bis zehn reicht, zeigt auf Stufe sieben. Rechne ich den wunderbar wolkenlosen Himmel und die lauen Temperaturen dazu, wähne ich ein fantastisches Frühlingserlebnis auf mich zukommen!

Opulente Blütenteppiche

Am Fuße des Kleinen Freeden schart sich bereits eine Gruppe neugieriger Naturfreunde um Wanderführerin Maria Woll. Sie erklärt uns, dass der Lerchensporn hier auf dem Freeden bei Bad Iburg optimale Bedingungen vorfindet: Die Hänge bestünden nicht nur aus dem für sein Gedeihen notwendigen Kalkgestein, sondern seien durch die Vielzahl der Laubbäume auch im Sommer gut beschattet, sodass die Erde selbst dann feucht bleibe. Außerdem enthalte der Mullboden reichlich Nährstoffe. „Damit erfüllt der Freeden an vielen Stellen alle Kriterien, die der Lerchensporn an seinen Lebensraum stellt“, fasst die gelernte Geografin zusammen. Kein Wunder also, dass die anspruchsvolle Pflanze in diesem Abschnitt des Teutoburger Waldes besonders opulente Blütenteppiche ausrollt.

Wo ist der Lerchensporn? Auf den Hängen des Kleinen Freeden breitet sich in diesem Jahr vor allem das Waldbingelkraut aus.

Naturerlebnis im Frühling

Leicht schnaufend kämpfen wir uns den Hang des Kleinen Freeden hinauf – über unebenes Gestein und zerfurchtes Geläuf. Ein echtes Naturerlebnis. Vorbei an hoch gewachsenen Ilex-Sträuchern und vorwitzigen Buschwindröschen. Rechts und links des Hermannsweges lässt der Frühling keinen Zweifel daran, dass er die Natur fest im Griff hat: Scharbockskraut und Bärlauch leuchten durch das welke Laub, hier ein zarter Gelbstern – und da, endlich: der erste Lerchensporn! Sehr apart reckt der smarte Lippenblütler seinen etwa fingerlangen, purpurfarbenen Blütenstand dem Licht entgegen, das durch die noch kahlen Äste fällt.

Weniger Bäume, weniger Schatten

Während der Mensch in die Entwicklung des Naturwaldes auf dem Großen Freeden nicht mehr eingreift, darf im Kleinen Freeden die Motorsäge noch angeworfen werden – und wird es auch. „Allerdings ist es vor allem der Schatten der Laubbäume, der dem Lerchensporn die Konkurrenz vom Hals hält“, sagt und Maria Woll und deutet mit kritischem Blick auf die vereinzelten Baumstümpfe in dem sonst überwiegend von stattlichen Rotbuchen bestandenen Forst hin. Zwar grünt es auch um die Baumstümpfe herum heftig, doch schiebt hier nicht der filigrane Lerchensporn, sondern das Waldbingelkraut, das – anders als Corydalis cava – einem sommerlichen Sonnenbad nicht abgeneigt ist, seine Blätter aus der Erde.

Mit viel Liebe zum Detail erklärt Wanderführerin Maria Woll den Teilnehmern die Pflanzenwelt auf dem Freeden.

Beeindruckende Vielfalt eines Ökosystems

Fasziniert von den Zusammenhängen, die Maria Woll uns über das so reichhaltige und dynamische Ökosystem, in dessen Fülle wir fasziniert eintauchen, vermittelt, lasse ich meinen Blick über die Hänge des Kleinen Freeden schweifen: Die strahlend weißen, leuchtend gelben, pastelligen rosa-, kräftigen lila- und lebensfroh purpurfarbenen Tupfer der Blüten haben längst die Oberhand über das verblichene Braun der schütteren Laubschicht gewonnen. Und auch, wenn an einigen Stellen der Einfluss der Zivilisation seine Spuren in der Botanik hinterlassen hat, besitzt doch auch der Kleine Freeden seine Reize.

Ende im Gelände

Mit denen müssen sich die Blütenfreunde für dieses Mal auch begnügen: Denn an einem unübersehbaren Betreten-Verboten-Schild, das den Zuritt zum Großen Freeden in diesem Jahr erstmals untersagt, endet unsere Wanderung abrupt: „Wegen des Eschensterbens haben die Landesforsten Niedersachsen das Gebiet gesperrt“, bedauert Maria Woll, dass sie uns die verschwenderischten Bestände des Lerchensporns, das eigentliche Blütenmeer und dessen überwältigende Schönheit, das sich nun einmal schwerpunktmäßig auf dem Großen Freeden befindet, aktuell nicht zeigen kann.

Ende im Gelände. Weil die Eschen erkrankt sind und Äste aus ihnen herausbrechen könnten, ist der große Freeden aus Sicherheitsgründen gesperrt.

Achtung – Eschensterben!

Denn im sich selbst überlassenen Naturwald sorgt die unberührte Welt aus Licht und Schatten, aus Kalk und Feuchtigkeit nicht nur für bestes Lerchenspornwachstum – auch ein aggressiver Pilz namens Falsches Weißes Stängelbecherchen scheint sich hier erschreckend wohl zu fühlen. Der Pilz schädigt vor allem die Kronen der Eschen derart gewaltig, dass sie absterben, ihre Äste abbrechen und so zur Gefahr für Spaziergänger werden. Während im Kleinen Freeden die befallenen Bäume gefällt werden dürfen, bleiben sie im Großen Freeden als Teil des geschützten Biotops unangetastet. „Da kann man nichts machen“, sagt Maria Woll und lotst uns zurück Richtung Kleiner Freeden. Schade um das Erlebnis, befinde ich, um das meine Schwiegereltern mir also auch in dieser Saison weiterhin voraus bleiben – jedoch klingt die Argumentation durchaus schlüssig.

Die Insel aus Lerchensporn lässt erahnen, was für einen prächtigen Anblick sich erst bei einem kompletten Hang voller Blüten ergeben muss.

Die Bevölkerung nicht aussperren

Trotzdem rufe ich am nächsten Tag bei den Landesforsten Niedersachsen-West an. Ob der Große Freeden denn wohl im nächsten Jahr wieder zugänglich sein wird, möchte ich wissen. „Das Eschensterben wird sich voraussichtlich nicht positiv entwickeln“, antwortet Pressesprecher Rainer Städing, deshalb sei anzunehmen, dass das Gebiet auch weiterhin gesperrt bleibe. Genaueres dazu lasse sich im Moment nicht sagen. „Allerdings war mir nicht bewusst, dass man die Lerchenspornblüte nur auf dem Oberen Freeden richtig erleben kann“, gesteht er ein und betont: „Wir wollen auf keinen Fall, dass die Bevölkerung das Gefühl hat, ausgesperrt zu werden. Daher sollten sich alle Beteiligten nochmal zusammen an einen Tisch setzen, um eine Kompromisslösung zu finden.“ Na, das ist doch eine Aussage, die Anlass zu verhaltenem Optimismus auf das Jahr der Landesgartenschau in Bad Iburg zulässt, tröste ich mich – und mache mir einen Vermerk in meinem Terminkalender: „März/April 2018: Freedometer beachten!“