Die Energiewende als lokaler Blockbuster

Das 50 Meter lange, sanft spindelförmig geschwungene Rotorblatt erinnert an den Körper eines weißen Wals. Im Hintergrund hievt der Kran die 19 Tonnen schwere Nabe auf hundert Meter Höhe. Fotos (5): Ulrike Havermeyer

Die drei Windkraftanlagen der Initiative Bürgerwind Mettingen nehmen Gestalt an. Als Westerbeckerin mit Blick über die Bruchwiesen sitze ich bei deren Montage in der ersten Reihe – und erlebe großes Kino. Titel des lokalen Blockbusters: Die Energiewende vor der Haustür.

Plötzlich geht dann doch alles ganz schnell. Nur wenige Tage dauert es, bis das erste Windrad im nördlichen Teil der Gemeinde Mettingen an der Grenze zu Westerkappeln über der Kulisse thront. Die Idee, die Energiewende in die eigene Hand zu nehmen, keimte vor ziemlich genau vier Jahren, als sich im März 2013 zwölf Mettinger Grundstückseigentümer und fünf Anwohner zur Bürgerwind Mettingen GbR zusammenschlossen. Ihr Anliegen formulieren sie auf der Internetseite www.buergerwind-mettingen.de: „Unser Ziel ist es, durch Realisierung eines Bürgerwindparks nach dem ausdrücklichen Leitbild des Kreises Steinfurt die Energiewende vor Ort mitzugestalten.“ Der Kreis Steinfurt hat sich vorgenommen, bis zum Jahr 2050 energieautark zu sein.

Umgeben von Ackerflächen

„Die Rotorblätter werden in der kommenden Nacht geliefert“, teilt mir Christoph Krüer, einer von vier Geschäftsführern der Betreibergesellschaft am Freitag vergangener Woche mit – für mich der Startschuss, mir den vielversprechenden Event-Movie, wenn möglich, aus nächster Nähe anzuschauen. Gespannt stolpere ich am nächsten Morgen über den eigens für die Bauarbeiten frisch geschotterten Landwirtschaftsweg. Um mich herum breiten sich Ackerflächen aus. Der Mais für die nächste Saison ist noch nicht gelegt, die Kartoffeln noch nicht gesetzt. Kiebitze und Brachvögel stochern emsig im Boden herum.

Zentimeter um Zentimeter hievt der Baukran das letzte Turmelement in die Höhe.

Eile mit Weile…

Als ich auf der Baustelle eintreffe, sind bereits drei der vier Turmelemente montiert. Ja, gerne dürfe ich den Aufbau beobachten, aber nicht ohne entsprechende Sicherheitsbekleidung, blickt Justas Leonavicius, Installationsmanager der Firma Senvion, streng auf meine Turnschuhe und lotst mich aus der Gefahrenzone. Aus rund 200 Meter Entfernung sehe ich fasziniert zu, wie der 120 Meter hohe Kran das letzte Stahlrohrelement Zentimeter um Zentimeter durch die Luft schweben lässt. Wie heißt es auf der Internetseite der Initiatoren so schön: „Wir möchten den Ausbau der Windenergie nicht mit der Brechstange herbeiführen.“ Ein kluges Motto, dem sich – stelle ich beim Blick auf meine Armbanduhr fest – offenbar auch die Montage verpflichtet fühlt. Eine gute Stunde dauert es, bis sich der vierte Turmabschnitt betont behutsam auf den dritten senkt und die Senvion-Mitarbeiter die Schlagschrauben im Inneren angezogen haben.

Wie Stecknadelköpfe wirken die Schutzhelme der Monteure, die die Stahlturmelemente im Inneren der Windkraftanlage miteinander verschrauben.

 

 

Doch nicht nur in der Ruhe, auch im Baukran liegt die Kraft: Scheinbar mühelos lässt dessen Haken anderthalb Stunden später die knapp 75 Tonnen schwere Gondel vom Boden abheben. Ihr Ziel ist die Turmspitze des Windrads, die sich in hundert Metern Höhe befindet. Wie entreißt man 75 Tonnen Gewicht der Schwerkraft über eine Strecke von hundert Metern? Diese beeindruckenden Dimensionen sprengen definitiv mein Vorstellungsvermögen. Gewaltig, gigantisch, unfassbar – mehr fällt mir zu dem Spektakel nicht ein, das sich da direkt vor mir wie auf einer Großbildleinwand abspielt. 75000 Kilogramm – das entspricht gut zwölf durchschnittsdicken Afrikanischen Elefanten – schweben über dem Mettinger Bruch! Ein bequemer Plüschsessel und eine Tüte Popcorn wären jetzt nicht schlecht…

Gewaltig, gigantisch, unfassbar

Etwa 75 Tonnen wiegt die Gondel. Das entspricht dem Durchschnittsgewicht von zwölf Afrikanischen Elefantern.

Während ich in sprachloses Staunen verfalle, dirigieren zwei Senvion-Bodenteams die Gondel, die von ihrer Form und Größe an eine veritable Hochseeyacht erinnert, an langen Seilen in die richtige Position – und nach einer für diesen Arbeitsschritt völlig verdienten Überlänge von zwei Stunden hat das stählerne Monstrum seinen Platz gefunden. Zeit für die Mittagspause.

Allzeit eine frische Brise!

Wie angekündigt sind in der vergangenen Nacht auch die drei jeweils 50 Meter langen Rotorblätter eingetroffen. Und ich darf sie  – als ich mich in Schutzhelm, Sicherheitsstiefel und Warnweste gekleidet am Nachmittag neuerlich ins Zentrum des Geschehens wage – mit ausdrücklicher Erlaubnis von  Justas Leonavicius, sogar streicheln. Wie gestrandete weiße Wale liegen sie träge auf den Schwerlasttransportern. Ihre stählernen Leiber sind, wie die des ihnen so ähnlich sehenden Meeresbewohners, sanft spindelförmig geschwungen. Doch mit neun Tonnen Gewicht dürfte jedes Rotorblatt dem schmächtigen Weißwal zusätzliche Schamesblässe ins Gesicht treiben: Selbst dessen ausgewachsene Exemplare bringen nur lachhafte 1400 Kilo auf die Waage. Sind allerdings auch nur um die sechs Meter lang. „Na dann mal viel Spaß da oben“, raune ich den Stahlwalen zu, „und allzeit eine frische Brise um die Nase.“ Nachdem das eingespielte Team aus 15 Senvion-Mitarbeitern und zwei Kranführern auch die Nabe (zirka 19 Tonnen schwer) himmelwärts befördert hat, steht Anfang der nächsten Woche die Einzelmontage der Rotorblätter auf dem Plan.

Fast ferig: Die erste von drei Anlagen im Bürgerwindpark Mettingen Bruch steht.

Schwebende Wale über dem Bruch

Montagmorgen: Schon von weitem bekomme ich einen Schrecken – der Kran liegt flach auf dem Boden! Umgekippt? Ein Unfall? „Nein, alles läuft nach Plan“, winkt Tobias Fülbier, technischer Berater der Firma Senvion, gelassen ab. Um die Blätter anzubringen, müsse der Kran zunächst um etwa zehn Meter verlängert werden. Und das geht nur am Boden – und dauert den gesamten Vormittag. Danach wirken sogar die schwebenden Wale wie ein Kinderspiel. Am Abend ist die Montage schließlich beendet – das erste Mettinger Bürgerwindrad ist (fast) fertig. Fehlen nur noch die Elektronik und der Netzanschluss. Ob es irgendwelche Besonderheiten während der Montage am Standort Mettingen gegeben habe? Justas Leonavicius schüttelt den Kopf: „Keine. Guter Boden und allgemein gute Bedingungen“, bilanziert er. Aber dann fällt ihm doch noch etwas ein. Er habe bestimmt schon mehr als 300 Windkraftanlagen montiert, sinniert der Installationsmanager, aber so viele Zuschauer, so ein großes Interesse, das habe er selten erlebt. „Ich glaube ich musste noch nie so viele Menschen von der Baustelle scheuchen wie hier“, grinst er.

(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 29.03.2017)