Wie aus dem Ei gepellt

Die Macht der bunten Tücher: Erika Twiehaus (rechts) lässt sich von Stilberaterin Birgit Bullerdiek erklären, wie sie künftig ihre Garderobe gestalten sollte. Foto: Ulrike Havermeyer

Manche Menschen betreten wie aus dem Ei gepellt die Bühne ihres Alltag: frisch, adrett, makellos. Wie machen die das? Um dem Geheimnis einer harmonischen Erscheinung auf die Spur zu kommen, nehme ich an der Farb- und Stilberatung der Landfrauen teil.

Gleich vorweg: In meinem Kleiderschrank herrscht kreatives Chaos. Ich verfüge über ein buntes Arsenal oft gedankenlos aus dem Bauch heraus erworbener, nicht aufeinander abgestimmter, in Einzelfällen wohl auch gewagt kolorierter Hosen, Pullover und Blusen – von meinen Socken ganz zu schweigen. Wenn ich ein neues Outfit kaufe, muss es schnell gehen. Statt mich in nervenaufreibender Daueranspannung durch den Dschungel der Damenkonfektion zu kämpfen, halte ich mich lieber in einer ruhigen, gut sortierten Buchhandlung auf.

Mangelndes Modebewusstsein

„Welcher Jahreszeitentyp bist du eigentlich?“, fragte mich kürzlich meine Freundin Stephi – mal wieder beneidenswert elegant Ton in Ton gehüllt, der ästhetische Gleichkang nur durch geschickt gesetzte farbliche Akzente durchbrochen – und ließ ihren Blick, nein, eben nicht wie zufällig, an meinem Äußeren hinunter und wieder hinauf und hinunter gleiten. Mehrfach. Sie versuchte erst gar nicht, ihre – offenbar angesichts meines mangelnden Modebewusstseins – immer besorgter werdende Miene zu verbergen.

Überrumpelnde Fülle des Sortiments

Stephi empfahl mir eine Farbberatung. Sie selbst sei übrigens der Sommertyp, informierte sie mich und fingerte dabei lässig an ihrem in Lavendel- und Minttönen gehaltenen Schal herum. Seit sie das wisse, sagt Stephi, mache ihr das Einkaufen viel mehr Spaß. Der überrumpelnden Fülle des Sortiments trete sie nun mit entschlossener Souveränität entgegen. Das alles brachte mich zum Nachdenken – und so kam mir der Termin bei den Landfrauen Westerkappeln-Wersen gerade recht, die die Image-, Farb- und Stilberaterin Birgit Bullerdiek aus Ibbenbüren zu sich eingeladen hatten.

Schneewittchen lässt grüßen

„Nur wer die Regeln beherrscht, kann sie stilvoll brechen“, lautet das Credo von Birgit Bullerdiek. Sie selbst trägt einen dunkelblauen Blazer, umspielt von einem Arrangement aus hellen Halstüchern. Mit ihren schwarzen Haaren und einer Haut wie aus Alabaster entspricht sie – wie ich mittlerweile gelernt habe – dem Wintertyp wie er im Buche steht. „Jedenfalls beinah“, schränkt sie ein und erklärt schmunzelnd, dass sie, wenn sie hätte Schneewittchen werden wollen, statt aus ihren braunen Augen die Welt mit eisblauem Blick hätte betrachten müssen. „Das jemand exakt einem Farbtypus zuzuordnen ist“, sagt sie, „ist ohnehin ganz selten.“

Wie wirkt die eigene Optik?

Nachdem sie uns das Vier-Jahreszeiten-Prinzip, das auf der Farbtypenlehre des Schweizer Kunstpädagogen Johannes Itten basiert, erläutert hat, wird es praktisch: Birgit Bullerdiek bittet einzelne Zuhörerinnen zur Analyse nach vorne. Ein Angebot, das überraschend viele Landfrauen furchtlos nutzen, während die anderen die Prozedur aufmerksam verfolgen und daraus wertvolle – und hier und da wohl auch folgenreiche – Schlüsse über die eigene optische Gemengelage und deren Wirkung ziehen.

Der warm- oder kalttonige Typ?

Mit der respektgebietenden Geste einer Magierin legt die Imageberaterin Landfrau Christel, nein, keinen Zauberumhang, sondern verschiedene Analysetücher über die Brust. Es wird still im Saal. Wir, das Publikum, werden Zeugen eines verblüffenden Effekts, den auch ich in dieser Deutlichkeit nicht erwartet hätte: Während das silberne Textil Christels Gesicht blass und ausdruckslos erscheinen lässt, erzeugt die goldene Variante einen regelrechten Glanz auf ihrem Teint. Birgit Bullerdiek nickt zufrieden: „Ganz klar: der warmtonige Typ.“ Es folgen weitere Tücher in weiteren Farbakkorden – bis wir uns schließlich allesamt einig sind: Christel ist der Herbsttyp. Ihr stehen warme Farben wie Kastanienrot, Tannengrün oder Rehbraun. Mutig wagen sich weitere Landfrauen ins Rampenlicht, um sich dem Urteil der Tücher zu stellen und die Ratschläge der Fachfrau zu überdenken.

Kein Frühling ist wie der andere

„Das Vier-Jahreszeiten-Prinzip gibt lediglich Anregungen“, betont Bullerdiek, „das sind keine Gesetze. Kein Frühling ist wie der andere.“ Aber diejenigen, die ihre Farbwelt kennten – bezogen nicht nur auf die Kleidung, sondern auch auf die Accessoirs, Schmuck, Brille und das Make up, denen gelinge es ohne viel Aufwand, gut auszusehen. Wer diesem Luxus näher kommen und seine Garderobe entsprechend seines Farbtypus umstellen wolle, könne am besten mit kleinen Veränderungen anfangen, rät die Stilberaterin: hier ein Halstuch, da ein T-Shirt.

Aschig und mit Blaustich

Von der Erkenntnis motiviert, dass mein eher unspektakulärer Hautton und mein straßenköterblondes Haar ziemlich eindeutig auf den Sommertyp verweisen, strebe auch ich nach Hause, um den Inhalt des heimischen Kleiderschranks einer strengen Kontrolle zu unterziehen. Wie hatte es Birgit Bullerdiek formuliert? „Sommertypen sollten aschige Farben wählen, grau- oder blaustichig.“ Habe ich mir das bloß eingebildet, oder hat ihr Blick bei diesen Worten tatsächlich amüsiert auf meinem orangen Lieblingspulli geruht? Morgen rufe ich erstmal meine Freundin Stephi an – vielleicht borgt sie mir ja ihren Schal …

(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 21.03.2017; Westfälische Nachrichten, 21.03.2017)