Jonglieren statt Eintüten

Gelassen bearbeitet Einzelhandelsverkäuferin Irina Krieger das herumkullernde Sammelsurium meiner Einkäufe. Foto: Ulrike Havermeer
Gelassen bearbeitet Einzelhandelsverkäuferin Irina Krieger das herumkullernde Sammelsurium meiner Einkäufe. Foto: Ulrike Havermeer

Seit meine Tochter sich in der Schule mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigt hat, schaut sie mir noch kritischer als sonst auf meine Konsumentenfinger. Wir haben schon vorher auf umweltbewusstes Einkaufen geachtet – aber jetzt ist jede Plastiktüte tabu.

Den ökologisch korrekten Weidenkorb in der Hand, rüste ich mich für den Feierabendtrubel im örtlichen Lebensmittelmarkt. Größte Herausforderung ist die Obst- und Gemüseabteilung. Statt die Tomaten vor dem Wiegen in die vorgesehenen Plastikbeutel zu stopfen, lege ich sie einzeln auf die Waage. Am Strunk ist das gar kein Problem. Bei den Nektarinen, Äpfeln und Birnen wird es schon schwieriger: Immer wieder drohen mir die vorwitzigen Früchte von der flachen Waagschale zu kullern. „Ich versuche Plastik zu vermeiden“, reagiere ich mit entschuldigendem Lächeln auf die ungeduldigen Blicke der Wartenden, während ich die mit dem Klebeetikett versehenen Äpfel, einen nach dem anderen, in den Weidenkorb verfrachte. Es folgt eine einzeln abgewogene Möhre. Drei lose Paprika. Zwei Fenchelknollen und das Schwierigste: eine kleine Traube Weintrauben, ganz ohne Verpackung. Meine Tochter wird zufrieden sein: Schlappe acht Plastikbeutel habe ich auf diese Weise vermieden.

Kommunen einbeziehen

Mit seiner Forderung nach einem plastiktütenfreien Einkauf befindet sich mein Nachwuchs übrigens in guter Gesellschaft: „Wir arbeiten zurzeit an einem Konzept, der erste plastiktütenfreie Kreis zu werden“, erklärt Silke Wesselmann vom Amt für Klimaschutz und Nachhaltigkeit des Kreises Steinfurt. „Wir werden jetzt auf die einzelnen Kommunen zugehen und sie in das Projekt mit einbeziehen“, kündigt sie an: „Denn jede Kommune, die plastiktütenfrei werden will, muss das in einem eigenen Beschluss erklären.“ Angedacht ist, „dass der Kreis dem örtlichen Handel einheitlich aussehende, wiederverwertbare Taschen zur Verfügung stellt, schön gestaltet und mit hohem Wiedererkennungswert“, erläutert Wesselmann, „die dieser dann an die Verbraucher weitergibt.“ „Da wären wir auf jeden Fall sofort dabei“, unterstützt Werner Kastrup, Vorsitzender der Interessengemeinschaft Rathausplatz Wersen, die Idee.

Kompostierbare Beutel?

„Die großen Ketten und Discounter werden wir wohl nicht so schnell umkrempeln“, übt sich Silke Wesselmann zwar in Realismus, aber für mein ganz persönliches Obsttütenproblem im Supermarkt hat sie doch schon eine vage Lösung zur Hand: „Kompostierbare Beutel“, schlägt sie vor. Das würde auch dem Ärgernis, dass derzeit viel zu viele Plastiktüten im Kompost landen und dessen Weiterbearbeitung erschweren, entgegen wirken.

Die Marktlücke finden

Lebensmittelmarktbetreiber Martin Wolf steht dem Projekt eines plastiktütenfreien Kreises ebenfalls aufgeschlossen gegenüber. „Ich kann mir das sehr gut vorstellen“, sagt er, „bloß im Bereich der Fleischtheke dürfte das aus hygienischen Gründen kaum machbar sein.“ Aber, gibt Wolf zu bedenken: „Vielleicht entdeckt da ja jemand eine Marktlücke und liefert eine Lösung für das Problem, an die wir heute noch gar nicht denken.“ Wichtig findet Wolf, das Bewusstsein des Konsumenten für einen umweltfreundlichen Einkauf zu schärfen und ihn so dazu zu bringen, von sich aus auf die Plastiktüte zu verzichten.

Nachsicht motiviert

Während ich meinen Einkauf fortsetze, fällt mir auf, dass die meisten Kunden ganz im Sinne des ökologischen Gedankens an eine Transportmöglichkeit für ihre Einkäufe gedacht haben: schicke Flechtkörbe, moderne Shopper, selbstgenähte Taschen, Rucksäcke, ein schlichter Pappkarton oder das Gepäcknetz des Kinderwagens. Neben der Bereitschaft ist auch Kreativität gefragt. Doch ob Wurst oder Käse, Kaffee oder Toilettenpapier – selbst, wenn ich mich noch so anstrenge: Ganz ohne Plastik verlasse ich den Laden nicht. Wie gut, dass meine Tochter mein Konsumentenverhalten nicht nur mit Argusaugen, sondern auch mit „pädagogischer Nachhaltigkeit“ begleitet. „Jede Tüte, die du vermeidest, ist eine Tüte weniger, die das Klima belastet“, stellt sie entschlossen fest – und also jongliere ich weiter meine Äpfel Richtung Kasse.

(Erschienen in: Neue Osnabücker Zeitung, 15.06.2016; Westfälische Nachrichten, 16.06.2016)

Neue Osnabrücker Zeitung, 08. Juni 2018: