Mein Körper, mein Geist, meine Seele und ich

Ursprünglich diente die schlichte Metallschüssel den buddhistischen Mönchen als Essgeschirr. Heute entlockt die Mettinger Bewusstseins- und Entspannungstrainerin Anja Rüther dem Gefäß wohltuende Klänge, zu denen es sich wunderbar entspannen lässt. Foto: Ulrike Havermeyer
Ursprünglich diente die schlichte Metallschüssel den buddhistischen Mönchen als Essgeschirr. Heute entlockt die Mettinger Bewusstseins- und Entspannungstrainerin Anja Rüther dem Gefäß wohltuende Klänge, zu denen es sich wunderbar entspannen lässt. Foto: Ulrike Havermeyer

Die Landfrauen aus Westerkappeln und Wersen haben eingeladen, auf den inspirierenden Frequenzen buddhistischer Klangschalen ins Reich der Entspannung aufzubrechen. Um mehr über diese sanfte Art des Reisens zu erfahren, schließe ich mich ihnen an.

Auf in das akustische Abenteuer

„Boioioioiiiiii….!“ Die messingfarbene Schüssel in der Hand von Bewusstseinstrainerin Anja Rüther ist startbereit. Indem unsere Reiseleiterin gleichmäßig mit dem filzumspannten Schlägel an der Wand des Gefäßes entlang streicht, entlockt sie der Schale eine sich wie endlos ergießende Woge aus Tönen, die einladend durch den Raum strömt.  Wer sich auf den Weg in das akustische Abenteuer begeben und sich von den Schallwellen davontragen lassen will, macht es sich auf einem der Polsterstühle im vom Sonnenlicht gefluteten Saal des Westerkappelner Kuckucksnestes bequem. Anja Rüther blickt zufrieden in die Runde: Jetzt gelte es nur noch, die Augen zu schließen, sagt sie, und sich auf die ungewohnten Klänge einzulassen.

Allein im Kopf

Sich einlassen. Leichter gesagt als getan, denke ich hinter meinen heruntergeklappten Augenlidern. Isoliert vom Anblick jedweder räumlicher Kulisse und ohne irgendwelche optischen Eindrücke, von denen ein willkommenes Ablenkungspotenzial ausginge, fühle ich mich mit einem Mal ziemlich allein in meinem Kopf. Plötzlich existieren in meiner Wahrnehmung nur noch mein Körper, mein Geist, meine Seele und ich – und natürlich: das „Boioioiiiii…!“. In das mischt sich nun auch noch ein offenbar von einer zweiten Klangschale erzeugtes „Buiuiuiuiiiii…!“. Machtvoll und unbeirrbar dehnen sich die Schwingungen aus. Scheinen außer meinen Rumpf auch das Innere meiner Schädelkapsel zu durchmessen, das sich – ich gebe das nicht gerne zu – unter dem Einfluss der Vibrationen irgendwie hohl anfühlt. Dennoch: Das hoffentlich nur eingebildete Vakuum in meinem Kopf hat etwas angenehm Beruhigendes.

Schweigsamer Mittelpunkt

„Hinter dem Klang wohnt die Stille“, sagt Anja Rüther. Und die Stille, betont die Entspannungstrainerin aus Mettingen, sei ein oft unterschätztes Reiseziel. Weil der Alltag in einer digitalisierten Informationsgesellschaft von fordernder Geschwindigkeit und einer Flut aus Reizen geprägt ist, die rund um die Uhr auf uns einströmen, erweist sich so ein Trip zum schweigsamen Mittelpunkt der eigenen Psyche häufig nicht nur als erhol-, sondern sogar als heilsam. „Viele von uns haben völlig verlernt, wie man abschaltet und zu sich selbst Kontakt aufnimmt“, gibt Anja Rüther zu bedenken. Dank einer Zusatzausbildung zur Stress- und Burnout-Beraterin weiß sie, wie schnell ein solches Ungleichgewicht zu psychosomatischen Beeinträchtigungen und ernsthaften Erkrankungen führt.

Sich wappnen gegen den Stress

Ihr Ratschlag: Wer zu den Wurzeln seiner Gedanken und Gefühle reisen und dabei einen Blick auf die Befindlichkeit der eigenen Gemütslage werfen will, sollte es einmal mit einer Klangmassage oder einer Klangtherapie versuchen. Daneben eigneten sich aber auch das autogene Training oder die progressive Muskelentspannung, um Körper, Geist und Seele ganzheitlich zu entspannen, wieder miteinander in Einklang zu bringen und sich auf diese Weise gegen potenziellen Stress zu wappnen.

„Das war wunderschön“

„…boioioiiioiiioiiioiii…“ – Welle für Welle verhallen die buddhistischen Frequenzen im westfälischen Gebälk. In trauter Zweisamkeit tauchen mein Unterbewusstsein und ich aus den unendlichen Weiten des gedanklichen Nichts wieder auf. Gleichermaßen benommen wie erfrischt. Aufgetankt mit Energie und doch von gelassener Stimmung. Auf den Gesichtern der Landfrauen liegt ein heiteres Lächeln. „Das war wunderschön“, flüstert eine ältere Dame ganz ergriffen, „das hat sich angefühlt, als ob die Töne immer weiter und weiter bis ins Weltall flögen.“ Dass der Reisekatalog  ins eigene Innere derart spektakuläre Szenarien bietet, hinterlässt auch in mir einen ganz unerwarteten Hauch von „Nahweh“. Aber das zu befriedigen, liegt ja zum Glück nur eine Klangschale entfernt.

(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 13.04.2016; Westfälische Nachrichten, 13.04.2016)