Und wohin jetzt mit dem ollen Schiet?

„Gut, dass sie die Sachen hergebracht haben!“ Remondis-Mitarbeiter Thorsten Günther ist froh um jeden schadstoffhaltigen Abfall, der bei ihm abgegeben und anschließend fachgerecht entsorgt wird. Foto: Ulrike Havermeyer
„Gut, dass sie die Sachen hergebracht haben!“ Remondis-Mitarbeiter Thorsten Günther ist froh um jeden schadstoffhaltigen Abfall, der bei ihm abgegeben und anschließend fachgerecht entsorgt wird. Foto: Ulrike Havermeyer

Auf dem Weg zu meiner Verabredung mit Thorsten Günther vom Schadstoffmobil, drückt mir mein Mann schnell noch ein altes Gurkenglas in die Hand, in dem eine ominöse Flüssigkeit schwappt. Was das ist? „Stand noch in der Werkstatt herum“, sagt er und zuckt mit den Schultern. „Aber die Leute vom Schadstoffmobil, die wissen schon, was sie damit machen müssen.“ Als eifriger Hobbyhandwerker, der über ein reichhaltiges Arsenal an Lösungsmitteln, Verdünnern und Reinigern verfügt, hat mein Mann jede Menge Erfahrung mit dem feuerroten „Safety Truck“ der Firma Remondis. Kaum ein Termin vergeht, an dem er nicht wannenweise Tuben und Flaschen, Eimer und Kanister voller Restchemikalien in Richtung Sammelplatz chauffiert.

Grinsende Totenköpfe und tote Fische

Samstagmorgen, 8.45 Uhr, Altlotte am Kornweg – gleich geht es los. Thorsten Günther, chemische Fachkraft beim Entsorgungsunternehmen Remondis in Bramsche, steckt mitten in den Vorbereitungen: Er überprüft die diversen Spezialbehälter im Inneren seines Safety Trucks. Versieht die sauber nebeneinander aufgereihten Metallcontainer mit diabolisch grinsenden Totenkopf-Etiketten („giftig“). Befestigt diverse weitere Gefahrenpiktogramme – unter anderem mit stilisierten Flammen („entzündlich“), kopfüber treibenden Fischen („umweltgefährlich“) oder tropfenden Reagenzgläsern („ätzend“) an blauen und schwarzen Sicherheitsfässern. „Die Stoffe, die wir transportieren, sind auf die eine oder andere Weise gefährlich“, erklärt er und streicht einen Aufkleber, dessen Symbol ich zunächst für ein Nudelholz halte – das aber tatsächlich eine Gasflasche darstellt, auf einem mit Belüftungsschlitzen durchlöcherten Pappgefäß glatt.

Egal ob Rohrreiniger oder Insektenspray - viele im Haushalt verwendete Chemikalien enhalten gefährliche Stoffe. Zur Sicherheit von Mensch und Umwelt sollten ihre Reste beim Schadstoffmobil abgegeben werden. Foto: Ulrike Havermeyer
Egal ob Rohrreiniger oder Insektenspray – viele im Haushalt verwendete Chemikalien enhalten gefährliche Stoffe. Zur Sicherheit von Mensch und Umwelt sollten ihre Reste beim Schadstoffmobil abgegeben werden. Foto: Ulrike Havermeyer

„Daher müssen wir sehr genau kennzeichnen, welche Stoffe sich in jedem Behälter befinden, welche Risiken von ihnen ausgehen und dafür sorgen, dass sich nichts vermischt und miteinander reagiert.“ In dem luftdurchlässigen Karton werden beispielsweise alte Spraydosen aufbewahrt – was sich dem Fachmann über die vermeintliche Nudelholz-Kennung „komprimierte Gase“ erschließt. Sämtliche Gefahrenzeichen, auch die, die Thorsten Günther im Laufe der Sammlung – je nachdem, was die Lotteraner heute alles anliefern – noch nachrüsten wird, müssen auch außen am Schadstoffmobil zu erkennen sein.

So einfach ist das

„Und wohin jetzt mit dem ganzen Schiet?“ Die ältere Dame, die eine Transportbox voller Restposten vor sich her balanciert, nähert sich etwas ratlos dem Schadstoffmobil. Bisher habe sich ihr Sohn immer um die Beseitigung des häuslichen Sondermülls gekümmert, erzählt sie, aber der habe heute keine Zeit. „Da habe ich mir gedacht: Das mit dem Schadstoffmobil – das schaffst du auch.“ Eine echte Premiere also – nur sie und der „olle Schiet“. Thorsten Günther beugt sich freundlich über den Annahmetresen: „Das können sie alles komplett bei mir abgeben“, lotst er sie die Metalltreppe herauf. Er verschwindet mit dem Sammelsurium aus Haushaltsreinigern, Waschmittelrelikten, Farbtuben, Batterien, Insektenspray und alten Medikamenten im Innenraum. Man hört Deckel auf- und zuklappen, hier und da raschelt ein Plastiksack, es klackert und klirrt – dann kehrt der Remondis-Mitarbeiter auch schon mit der leeren Kunststoffkiste zurück. „Das war alles?“ fragt die Seniorin erleichtert. Thorsten Günther grinst: „Das war alles – gut, dass sie die Sachen hergebracht haben – dann bis zum nächsten Mal.“

Geschichten vom Renovieren und Reparieren

Auf dem Parkplatz herrscht inzwischen reges Treiben. Jede Kofferraumladung, jede Plastikwanne voller Spachtelmasse, Gips und Fugenmörtel, voller Abfluss-, Glas- und Backofenreiniger, voller Rostschutzmittel, Felgenreiniger und Autopolitur erzählt ihre eigene kleine Geschichte vom Renovieren und Reparieren, vom Aufschieben und Sich-Aufraffen. Gleich neben dem Safety Truck parkt nun auch der Lkw der Firma Horst Marthen Städtereinigung (HMS) aus Spelle, deren Mitarbeiter Markus Schotanus emsig den Elektroschrott entgegen nimmt: Alte Toaster und Espressomaschinen landen in seinem Container, Drucker, Mikrowellen und Videorekorder. „Elektrokleingeräte bis fünf Kilo können ja inzwischen auch direkt vor Ort in die entsprechenden Container geworfen werden“, erläutert er – die stehen in der Gemeinde Lotte an der Jahnstraße, der Landwehrstraße und der Westerkappelner Straße – „Elektrogroßgeräte wie Waschmaschinen oder Fernseher werden kostenlos über den Sperrmüll entsorgt.“ Auch Leuchtstoffröhren und Energiesparlampen nimmt Schotanus entgegen. „Und Monitore – aber nur solche, deren Diagonale nicht über 50 Zentimeter misst.“

Der Abfall der Anderen

Bei Thorsten Günther ist nach einer dreiviertel Stunde der größte Andrang vorüber. Rund 80 Personen, schätzt er, haben heute am Kornweg ihre Sonderabfälle bei ihm abgegeben und auf diese Weise dafür gesorgt, dass ihr schadstoffhaltiger Müll von der Firma Remondis vorschriftsmäßig recycelt oder verbrannt wird. 80 Personen, staune ich – das ist eine ganze Menge. Oder? Thorsten Günther sieht nicht wirklich beeindruckt aus: „Das Schadstoffmobil macht etwa alle sechs bis acht Wochen an jeweils drei Sammelstellen in Lotte Station“, gibt er zu bedenken – und die Gemeinde habe rund 14.000 Einwohner. „Da frage ich mich schon manchmal: Wo bleiben eigentlich die anderen mit ihren Sonderabfällen?“

(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, xx. 12. 2015; Westfälische Nachrichten, xx. 12. 2015)