Dem Geheimnis der Türkischen Pizza auf der Spur

Mit frischen Gurken belegt schmeckt dem achtjährigen Lenny seine Türkische Pizza am besten. Fotos (6): Ulrike Havermeyer

Auf der Top-Fünf-Liste meiner Lieblingsgerichte nimmt die Türkische Pizza einen prominenten Platz ein. Als ich erfahre, dass die Lotteraner Landfrauen im Jugendtreff Bansen zum gemeinsamen Zubereiten der würzigen Teichfladen einladen, mache ich mich schnurstracks auf den Weg. Schließlich sind die Landfrauen bekannt für ihre Kochkünste – und ich suche schon seit Jahren nach dem perfekten Rezept für das traditionelle Hefegebäck.

Zum ersten Mal gegessen habe ich Türkische Pizza Ende der 1990er-Jahre in einem Osnabrücker Restaurant. Das Restaurant wurde von einem Niederländer geführt, die Küche unterstand einer portugiesischen Köchin – und die Türkische Pizza war einfach grandios. In meiner Erinnerung bin ich dort fast jeden Monat eingekehrt, mindestens aber alle sechs Wochen. Und ich habe immer nur das eine gegessen: Türkische Pizza! Viele Jahre lang währte dieser paradiesische Zustand – dann schloss der Wirt völlig unerwartet sein Gasthaus, entfleuchte Richtung Heimat – und ließ mich mit leerem Magen und enttäuschtem Gaumen zurück. Seitdem probiere ich herum. Sichte Speisekarten und Kochbücher, nasche hier und brutzle dort, aber kein Versuch reichte bisher auch nur annähernd an den unbeschreiblichen Geschmack der Multi-Kulti-Variante meiner Ursprungserfahrung heran. Nun also sind die Lotteraner Landfrauen am Zug – und ich bin gespannt, ob der kulinarische Durchbruch diesmal gelingt.

Generationen übergreifendes Kochen

„Nein, Türkische Pizza kenne ich gar nicht“, überfliegt Ilse Lange mit dem routinierten Blick der universell erfahrenen Landfrau das Rezept, das in der Küche des Bansen ausliegt, „noch nie gegessen und noch nie gebacken.“ Auch ihre Kollegin Gaby Würfel zuckt mit den Schultern, merkt aber voller Zuversicht an, dass dem, der sich an die Anleitung halte, das angestrebte Ergebnis erfahrungsgemäß gelinge. Auch Leona (11 Jahre), Lenny (8), Jerun (10), Hanna (11), Rick (13) und Niclas (12) – einige der Jugendlichen, die an diesem Nachmittag zum offenen Treff gekommen sind – blicken ein wenig ratlos: Türkische Pizza? Nie gehört. Wie wüchsige Kressesprossen keimen die ersten Zweifel in mir auf. Hat mein Lieblingsgericht denn hier im Bansen gar keine Lobby?

Sie haben das Dessert fest im Griff: Jerun (links) und Hanna.

Als Jugendpflegerin Ulla Tschauder meine Verwirrung bemerkt, erläutert sie kurz die allgemeine Ausgangslage: Dass die Landfrauen regelmäßig mit den Jugendlichen im Bansen kochen, sei eine liebe alte Tradition. Mal entscheidet das Team um Ilse Lange, welche Mahlzeit auf den Tisch kommt, mal die Mitarbeiter des Jugendzentrums. „Das Rezept für die Türkische Pizza ist von mir“, verrät Tschauder. Um ihr Lieblingsessen handele es sich dabei zwar nicht – das seien je nach Jahreszeit Fischla-Tunke zu schlesischer Weißwurst oder süße Pflaumenklöße, beides nach dem Original-Rezept ihrer Oma Anna – aber die Türkische Pizza sei leicht zuzubereiten und enthalte als Zutaten lauter Basismaterial. Damit kämen die Jugendlichen gut klar. Und die Landfrauen sowieso.

Spaß beim Zerkleinern der Zwiebeln haben Niclas (links) und Rick.

Wie bei so vielem anderen ist auch beim gemeinsamen Kochen der Weg das Ziel. Zwischen Pürierstab und Schneidbrettchen, Rührschüssel und Pfannenwender kommt man sich bei Generationen übergreifendem Geplauder näher. Die eine hat hier einen guten Haushaltstipp parat, den der andere gerne sofort ausprobiert und ins eigene Fachrepertoire übernimmt. Niclas (Lieblingsessen: Pommes) und Rick (Lieblingsessen: Rouladen mit Kartoffelklößen nach dem Rezept von Oma Auguste) zerkleinern Berge von geschälten Zwiebeln, bevor sie sich um das Ausrollen der Hefefladen kümmern – was ihnen bewundernswert professionell gelingt. Lenny (Lieblingsessen: Spaghetti mit Tomatensoße) schält und schneidet die Salatgurken und hilft anschließend Hanna (Lieblingsessen: Chili con Carne, gemeinsam zubereitet mit ihrer Mutter Britta) und Jerun (Lieblingsessen: Nudeln) beim Abfüllen des Nachtischs: Joghurt-Quark-Speise mit pürierten Pfirsichen. Als Topping für das Dessert karamellisiert Gaby Würfel (Lieblingsessen: Sauerkrauteintopf nach dem Rezept ihrer Mutter Marlies) gerade eine Pfanne voller Mandelsplitter.

Teamarbeit am Herd (von links): Ilse Lange, Leona und Maren-Denise Akbulak.

Am Herd mühen sich Leona (Lieblingsessen: Käsespätzle von ihrer Oma Ira) und Berufspraktikantin Maren-Denise Akbulak (Lieblingsessen: Lasagne nach dem Rezept ihrer Mutter Brigitte) mit dem Anbraten des Rindergehackten ab. Ilse Lange (Lieblingsessen: Fitzebohnen mit Kartoffeln und Kassler) hilft ihnen, das Fleisch mit Tomatenmark und Tomatenstückchen, Olivenöl, frisch gehackter Petersilie sowie diversen Gewürzen zu verfeinern. Zum Schluss streicht Maren-Denise Akbulak etwas von dem Gehackten auf die Teichfladen und verfrachtet alles in den Backofen.

Das sieht ja schon mal nach einer vielversprechenden Grundlage aus, denke ich, als Ulla Tschauder uns die erste heiß vor sich hin dampfende Portion Lahmacun, so die originale Bezeichnung der Türkischen Pizza, einige Minuten später präsentiert. Aber wo sind die restlichen Zutaten? „Einfach zusammenklappen und aus der Hand essen“, fordert sie uns auf, „bevor es kalt wird.“ Moment mal, stutze ich, um das verführerisch duftende Gebäck zu einer – oder besser gesagt: zu meiner – Türkischen Pizza zu veredeln, fehlt noch die alles entscheidende, geschmacksgebende Auflage aus knackigem Salat und delikater Sauce…

Als angehende Erzieherin hilft Maren-Denise Akbulak zurzeit im Bansen – auch beim Backen.

Zu spät: Die Landfrauen und die Bansen Kids schmatzen bereits beherzt drauflos, während ein verstohlener Blick auf das Rezept mir bestätigt, dass hier alles mit rechten Dingen zu- und korrekt nach Plan vor sich gegangen ist – das puristisch ausgestaltete Backwerk vor mir auf dem Teller ist eindeutig eine Türkische Pizza. „Meistens gibt es für ein Gericht ja ganz viele unterschiedliche Rezepte und Varianten“, merkt Ilse Lange an. Etwas betreten nicke ich ihr zu und knabbere ernüchtert auf dem dünnen Fladen herum.

„Ich kenne das auch eher mit Salat und Sauce drauf“, wendet sich plötzlich Maren-Denise Akbulak zu mir und lächelt. „Soll ich Ihnen mal das Original-Rezept von meiner türkischen Schwiegermutter zuschicken?“ Na, wenn das kein Angebot ist! So könnte sich der Kreis zu meinem Lieblingsessen am Ende doch noch schließen – über Osnabrück-Niederlande-Portugal-Türkei-Lotte.

Einige Tage später zuhause: Da kommen wir der Sache doch schon näher: Das Rindergehackte (vermischt mit Tomatenmark, Paprikamark (Ajvar), Olivenöl, Salz, fein gehackten Zwiebeln, frischer Petersilie, Tomaten und Paprika (alles sehr fein geschnitten), gewürzt mit gemahlenem Kreuzkümmel, edelsüßer Paprika und schwarzem Pfeffer, wird in rohem Zustand dünn auf den (ungebackenen) Teigfladen gestrichen und bei 220 Grad etwa 12 Minuten gebacken. Anschließend nach Belieben mit grünem Salat, Mais, Tomatenstückchen, Gurkenscheiben und Weißkraut belegen – und natürlich mit reichlich Knobi-Sauce abrunden.

(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 04. März 2020)