Fahrsicherheitstraining: Kontrolliert die Kontrolle verlieren

Selbst erfahrene Wohnmobilfahrer wie mein Mann werden auf der rutschigen Kreisbahn des ADAC in Laatzen aus der Reserve gelockt. Fotos (4): Ulrike Havermeyer

Mit seinem rustikalen Charme ist das Tecklenburger Land auch für Wohnmobilfahrer ein lohnenswertes Ziel. Ist es eigentlich schwer, so eine bewegliche Ferienwohnung über die Straßen zu lenken? Ein Selbsttest.

Die Töpfe scheppern, die Gläser und Porzellantassen lassen es fröhlich krachen, als ich mit unserem Wohnmobil durch den Slalom-Parcours auf dem ADAC-Übungsgelände in Laatzen schunkle. Hier und da fliegt ein Pylon durch die Luft. Obwohl unser vor einem Jahr erworbenes Roadcar mit seinen 5,40 Metern gerade mal die Länge eines kompakten Lieferwagens erreicht, habe ich mich bisher nicht hinters Lenkrad getraut. Ein Fahrsicherheitstraining soll das ändern – und das Wohni und mich zusammenschweißen…

Links rum, rechts rum, den Blick in Fahrtrichtung, sodass das Auge die Hindernisse rechtzeitig wahrnimmt, die Schultern liegen stabil an der Rückenlehne an, das Lenkrad bei nicht durchgestreckten Armen fest im Griff – und schon wieder einschlagen: Rechts rum, links rum – klappt doch schon prima! „Gut machst du das“, bestätigt mein Mann vom Beifahrersitz aus meine Fortschritte auf der Slalomstrecke, „bald erreichen wir Tempo 20…“ Vorsicht ist die Mutter des formschlüssig gepackten 3,5-Tonners. Aber, ja – ein bisschen flotter dürfte ich den Kastenwagen schon durch die Kurven bugsieren, räume ich ein und gebe Gas. In der Nasszelle geht eine Phalanx Hygieneartikel mit unheilvollem Getöse zu Boden.

Nur durch Fahren lernt man Fahren… Fotos (2): Frank Wiebrock

„Merkst du was?“, schaltet sich ADAC-Fahrsicherheitstrainer Holger Borkenhagen per Funkgerät ins Geschehen ein, „durch die großen Bögen, die du fährst, erzeugst du viel Dynamik im Fahrzeug – das kann problematisch werden.“ Sein dringender Rat: So viel wie nötig, so wenig wie möglich lenken. Und tatsächlich: Kaum reduziere ich die Kurbelei am Steuer, schlängelt sich das Wohni auch schon wie ein geschmeidiger Aal um die Kegel – und im Innenraum kehrt Ruhe ein. „Gar nicht schlecht“, raunt es vom Beifahrersitz, „Tempo 30 – und die Pylone stehen.“

Wie war das nochmal mit dem Bremsweg? Sicherheitstrainer Holger Borkenhagen ruft wichtige Fakten in Erinnerung.

Zum Glück bin ich nicht der einzige weibliche Grünschnabel in der sechsköpfigen Truppe. Resi, Marie-Luise und Sigrid entpuppen sich schnell als Gleichgesinnte, die ebenfalls – mehr oder weniger entschlossen – die Position der Steuerfrau in ihren bisher Männer dominierten Wohnmobilen anstreben. „Zumindest will ich in der Lage sein einzuspringen, wenn Jürgen im Urlaub mal krank wird“, sagt Marie-Luise und blickt zu ihrem Gatten hinüber. Der nickt zustimmend. Für den Notfall gerüstet sein, lautet ihre Motivation. Auch Resi pflichtet ihnen bei. Ich staune. Sigrid schüttelt resolut den Kopf: „Also bei mir ist das anders“, stellt sie unmissverständlich klar, „ich habe zwar noch nie hinterm Steuer von so einem Ding gesessen und ordentlich Manschetten – aber ich will mit dem Wohnmobil genauso selbstverständlich fahren wie mein Mann.“ Ihr Ziel: Gleich heute Abend das üppig dimensionierte Fahrzeug bis nach Hause zurückkutschieren. Holger Borkenhagen grinst anerkennend – na, dann aber mal los!

Beim rückwärts Einparken hilft am besten ein Einweiser, der dann allerdings auch die Verantwortung für das Manöver übernimmt.

Zehn verschiedene Module, auf denen jeweils unterschiedliche Gefahrensituationen simuliert werden können, stehen auf dem 24 Hektar großen Sicherheitsgelände des ADAC in Laatzen bereit. Außer auf dem Dynamikmodul können sich Motorrad-, Pkw-, Lkw- und Wohnmobilfahrerinnen und -fahrer, egal ob Anfänger oder Profis, auch auf diversen Gefälle- und Gleitbahnen sowie im Off-Road-Gelände unter Aufsicht austoben. Gemäß unserem Trainingsplan unter dem Motto „Gefahren erkennen, vermeiden, bewältigen“ steht nach einem ausführlichen Theorieteil auch das Üben der Gefahrenbremsung an. Zunächst auf trockenem Asphalt.

Nachdenken kostet Zeit!

Während ich den Wagen wie angewiesen auf Temop 30 beschleu-… „HAAALT!!!“, brüllt mein Mann – und wie es uns Holger Borkenhagen eingebläut hat, stemme ich ohne Nachzudenken den linken Fuß auf die Kupplung und mit aller Kraft den rechten auf die Bremse. Um jegliche Hemmung abzulegen, sollen wir uns vorstellen, dass plötzlich ein Kind auf die Fahrbahn läuft. Während der Beifahrer den Zeitpunkt der Gefahr lautstark vermeldet, setzt die Fahrerin unmittelbar den Bremsschlag. Die Reifen quietschen, dank ABS kommt das Wohni holpernd zum Stehen. „Gut so, Ulrike – weiter mit Tempo 50“, schnarrt es durchs Funkgerät, „und danach versuchst du es bei Tempo 70.“

„Das war jetzt Anhalten vor der Eisdiele“

Von Bremsschlag zu Bremsschlag merke ich – „HAAALT!!!“, quietsch, ratter… – wie ich an Sicherheit gewinne, obwohl ich am ganzen Körper zittere. Selbst wenn die Gefahr nur simuliert sei, erklärt Borkenhagen, reagiere der menschliche Organismus mit Stress darauf. Und am Tag danach – „HAAALT!!!“, quietsch, ratter… – auch mit fiesem Muskelkater, wie ich an dieser Stelle nicht verhehlen möchte. Resi, Marie-Luise und Sigrid schlagen sich gleichermaßen wacker, nur hin und wieder fordert unser Sicherheitstrainer mehr körperliches Engagement: „Das war jetzt Anhalten vor der Eisdiele“, moniert Borkenhagen, „also gleich noch einmal!“

Auf dem Trainingsgelände des ADAC in Laatzen herrschen selbst im Sommer winterliche Verhältnisse – wie hier auf der Gleitbahn, die eine vereiste Fläche simuliert.

Auf der gewässerten Gleitfläche gibt es dann aber endgültig kein Halten mehr – da nützt selbst der beherzteste Bremsschlag nichts… Weil sich die Reifen nicht im glatten Untergrund verzahnen können, rutschen die Wohnmobile unbeeindruckt über das fiktive Eis Richtung Horizont dahin. Ich umklammere das Lenkrad, blicke starr nach vorne und fühle mich komplett ausgeliefert. Allein die Tatsache, dass auf dem geschützten Areal des ADAC weder Mensch noch Fahrzeug ernsthaften Schaden nehmen können, macht es halbwegs erträglich, so kontrolliert die Kontrolle über das Wohni zu verlieren.

Abstand bedeutet Sicherheit

„Ihr habt jetzt gemerkt, wie sich euer Fahrzeug auf vereister Strecke verhält“, mahnt unser Trainer – und ist gespannt auf unsere Erkenntnis aus dieser Rutschpartie: „Abstand halten!“ Und zwar nicht nur bei winterlichen Straßenverhältnissen. Er habe sich auf Autobahnen und Schnellstraßen angewöhnt, selbst im Sommer und auch mit dem Pkw mindestens 150 Meter Abstand zu halten. „Das ist ein völlig entspanntes Fahren mit einer sehr großen Sicherheitsreserve“, gibt er zu bedenken, „überlegt mal, ob ihr diese Ruhe entwickeln könnt.“

Geht doch: Aus einer Beifahrerin ist eine Steuerfrau geworden.

Nach fast acht Stunden Bremsen und Beschleunigen, Über- und Untersteuern, Rangieren und Vorausschauen, ist aus mir tatsächlich eine Wohnmobil-Fahrerin geworden. Mit kribbeliger Vorfreude lenke ich das Roadcar auf die vor uns liegende Strecke zurück ins Tecklenburger Land – natürlich nicht ohne Sigrid, die sich ebenfalls für ihre Jungfernfahrt rüstet, noch einmal fröhlich zuzuwinken.

(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 21.08.2019)