Bootcamp der Sportfreunde: Motivation durch Provokation

„Ich sehe euch nicht kämpfen!“ Fitness-Coach Philip Tietze kennt keine Gnade, wenn es um Ausdauer und Muskelaufbau geht. Fotos (5): Ulrike Havermeyer

Die einen joggen oder schwitzen an Geräten, um fit zu bleiben. Die anderen bringen sich mit Pilates oder Yoga in Form. Mit ihrem Bootcamp bieten die Sportfreunde in Kooperation mit dem TuS Lotte seit ein paar Wochen eine besonders puristische Variante an, seinen Körper zu stählen.

Unter dem solarbedachten VIP-Parkplatz des Sportfreunde-Stadions schubsen die Teilnehmer, die sich derzeit aus Lotte, Hasbergen und Osnabrück rekrutieren, zentnerschwere Treckerreifen über karges Geläuf, hangeln sich an Stahlträgern entlang und erklimmen sprintend die steilen Betontreppen der benachbarten Tribünen. Ganz in der Tradition eines US-amerikanischen Hard-Core-Trainingslagers („Bootcamp“), in dem Militärangehörige oder Straffällige in derben Stiefeln („Boots“) ihr Pensum an körperlichen Herausforderungen absolvieren, gehört – um die rüde Kulisse aufrecht zu erhalten – natürlich auch in Lotte ein Aufsicht führender „Drill Sergeant“ dazu. Und der kennt – zumindest wenn es um die persönliche Fitness seiner Zöglinge geht – keine Gnade.

Geht in seiner Rolle als Bootcamp-Boss und Fitness-Fiesling voll auf: Übungsleiter Philip Tietze.

Die Rolle des Bootcamp-Bosses und Fitness-Fieslings füllt Übungsleiter Philip Tietze mit beeindruckender Bühnenpräsenz und sichtlichem Vergnügen aus. „Ich sehe euch nicht kämpfen!“, brüllt er seiner Truppe hinterher, die keuchend und auf allen Vieren über eine lange Reihe Gummimatten stolpert, sich gleich darauf an etlichen Burpees abarbeitet – einer Mischung aus Kniebeuge, Liegestütz und  Strecksprung, und als wäre das alles noch nicht anstrengend genug, sich als nächstes, einer nach dem anderen, in der Sitzhocke über zwei riesige Treckerreifen wuchtet.

Mara-Lina atmet schwer und wirft ihrem Coach im Vorbeihechten einen wütenden Blick zu. „Hallo Mara“, grüßt Tietze fröhlich und fügt grinsend hinzu, „so sieht Freude aus!“ Die 19-Jährige wischt sich den Schweiß von der Stirn und trabt mit verächtlicher Miene weiter zum Slalomparcours rund um die Dachstützen. Tietze blickt auf seine Uhr. „Das geht mir hier zu langsam“, ruft er den vier Männern und vier Frauen im Alter von 15 bis 42 Jahren hinterher und mimt Verärgerung, „wer sich nicht schneller bewegt: Strafrunde!“

Ausgehend von seinen Ursprüngen im US-amerikanischen Militärbereich, hat sich das Boot- („Stiefel“) inzwischen zu einem fitnessbetonten „Sneakercamp“ gewandelt.

Eine volle Stunde lang scheucht der lizensierte Fitness-Trainer die tapferen Recken jeden Donnerstag über das friedlich in der Abendsonne liegende Gelände nördlich der Osttribüne. Die teils hochintervalligen Übungen, erläutert er, fügten sich zu einem äußerst effektiven Ganzkörpertraining zusammen und eigneten sich für Breitensportler jeglicher Leistungsstufen. Tietze scannt mit einem konzentrierten Blick die nörgelnden, aber emsig in ihre Aufgaben vertieften Bootcamper und nickt zufrieden. „Schmerz ist Schwäche, die den Körper verlässt“, gibt er den vor sich hin fluchenden Freizeit-Athleten eine weitere Weisheit mit auf den Weg.

Hat er Mitleid mit seinen Leuten? „Nein – wieso?“, fragt Tietze und schüttelt verständnislos den Kopf, „die hat ja keiner dazu gezwungen zu kommen – die machen das freiwillig.“ Und schon quält er die immer lauter murrende Gruppe mit einem weiteren Kommando: Nur noch ein paar Hampelmänner wolle er sehen – oder in treffendem Bootcamp-Duktus: „Jumping Jacks“ – das höre sich ja auch gleich viel cooler an. „Keine Sorge“, klingt Tietzes gut geölte Kasernenhofstimme nun beinahe trostvoll und lässt trügerische Hoffnung aufkeimen, „wir machen ja bald Pause.“ Mara-Lina hüpft verbissen und haut die Hände mit letzter Kraft über ihrem Kopf zusammen. Tietze sinniert mit diabolischem Lächeln: „Du weißt ja, Mara – ,bald‘, das ist ein unbestimmter Zeitpunkt in der Zukunft.“

Trotz körperlicher Schinderei wie beim Treckerreifen-Schubsen macht Mara-Lina (links) und Viola das Bootcamp „totalen Spaß“, wie sie versichern.

Warum tun Mara-Lina und ihre Leidensgenossen sich diese Schinderei an? „Weil das totalen Spaß macht“, lacht sie am Ende des Trainings erschöpft und nimmt zwei tiefe Schlucke aus der Wasserflasche. Tietze sieht seine Schülerin betont überrascht an – dann klatschen sich die beiden in sportlicher Verbundenheit ab. „Zu Anfang habe ich meistens gar keine richtige Lust“, verrät die Lotteranerin, „aber dann fordert Philip uns einfach immer wieder heraus – und das motiviert total!“ Wer einmal mitgemacht habe, der komme immer wieder, spricht sie aus eigener Erfahrung.

Motivation durch Provokation – diese wirkungsvolle Strategie hat Tietze im Bootcamp zu einer wahren Kunstform entwickelt. Und die Teilnehmer wissen das offenbar zu schätzen. „Man kommt hier regelmäßig über seine Grenzen“, lobt Viola (28) aus Osnabrück das Bootcamp-Konzept. Sie gehe zwar auch ins Fitness-Studio – „aber die Motivation hier im Camp ist deutlich stärker“ und das Ergebnis sei verblüffend. „Vergangene Woche sind mir die Klimmzüge am TRX-Band richtig schwer gefallen“, erzählt sie, „und heute kamen sie mir schon fast zu einfach vor!“ Tietze schmunzelt im Hintergrund vor sich hin – und hinter seiner strengen Feldwebel-Fassade schimmert beinahe väterlicher Stolz.

Immer wieder gemeinsam als Team über die eigenen Grenzen gehen – das macht für die Bootcamp-Teilnehmer den Reiz aus.

Das neue Bootcamp-Angebot zum Body-Workout der Sportfreunde und des TuS Lotte ist zunächst auf zehn Termine beschränkt. Falls sich genügend Teilnehmer finden, werde es aber fortgesetzt, kündigt Sportfreunde-Jugendwart Heinz Budke an. Interessenten können donnertags von 17.30 bis 18.30 Uhr im Stadion am Lotter Kreuz unverbindlich beim Training hinein schnuppern.

(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 24.07.2019)