Ein bisschen mehr Euphorie, bitte!

Sind die Manschetten der Antriebswelle in Ordnung? Torsten Weeber nimmt meinen Fiat gründlich unter die Lupe. Foto: Ulrike Havermeyer

Irgendwo habe ich gelesen dass Autos, die als Gebrauchtwagen gehandelt werden, im Schnitt sechs Jahr alt sind. Das gab mir schwer zu denken, denn: Just dieses Alter hat mein Fiat gerade erreicht. Nicht, dass ich den Guten abgeben wollte, aber: Würde ich ihn wiederkaufen, wenn man ihn mir in seinem jetzigen Zustand anböte?

Die TÜV-Station in Atter empfiehlt Käufern einen Vertrauens-Check, bei dem gebrauchte Fahrzeuge auf Herz und Nieren – oder besser: auf Fahrwerk und Spaltmaß – geprüft werden: Wie ist es um Karosserie, Lackierung, Beleuchtung, Motor und Innenraum des Pkw bestellt? Funktioniert die Technik, sind kosmetische Schäden zu erkennen oder gar versteckte Mängel aufzudecken? Eine gute Gelegenheit, das gegenseitige Treueversprechen zwischen meinem Auto und mir zu erneuern. Dachte ich.

Sind die Scheinwerfer in Ordnung?

Torsten Weeber, Leiter der TÜV-Station in Atter, hat seine Mimik unter Kontrolle, als er schweigend um den Fiat herumgeht. Manchmal hockt er sich hin, um ein Detail genauer in Augenschein zu nehmen. Manchmal meine ich, ein leichtes Seufzen tief aus seiner Kfz-Expertenseele zu vernehmen. Aber vielleicht irre ich mich da.

Kontrolliert wird streng nach Liste

Insgeheim hatte ich mir bei Weebers erstem Eindruck von meinem Auto etwas mehr Euphorie erhofft. „Schön gelb!“ vielleicht, oder: „Hübsches Design!“. Mindestens aber eine Bemerkung wie „Toller Wagen – so einen hätte ich auch gerne.“ Doch der Mann, dessen erstes eigenes Auto ein gebrauchter Opel Kadett D in Silber war, schweigt. Und checkt. Vermittelt konzentrierte und unabhängige Neutralität. Nur hin und wieder atmet er betont tief ein und noch etwas deutlicher aus.

„Ich fahr den jetzt mal auf die Hebebühne“, läutet er den offiziellen Teil ein. Was bei einem Vertrauens-Check im Einzelnen geprüft oder eben gecheckt werde, das sei auf der entsprechenden TÜV-Liste genau vorgegeben und werde akribisch protokolliert und dokumentiert. Weeber steigt ein, scannt mit seinem Experten-Blick erst noch schnell den Innenraum, streicht über das Sitzpolster, zieht an den Sicherheitsgurten, bedient die Scheibenwaschanlage – steigt aus. Schlechtes Zeichen?

Ein Hauch von Vorwurf?

Er ruckelt an der Heckklappe herum. Öffnet sie, schließt sie. Ruckelt. Steigt wieder ein. Denkt kurz nach. Dann stellt er nüchtern fest: „Hier wird angezeigt, dass die Heckklappe geöffnet ist.“ Das sei sie aber gar nicht. Ich weiß, sage ich. In dem darauf folgenden Schweigen meine ich einen Hauch von Vorwurf zu spüren. Ich seufze. Also gut: Als meine eigene potenzielle Gebrauchtwagenhändlerin sollte ich mir selbst gegenüber wohl besser mit offenen Karten spielen…

In einer so langen Partnerschaft, wie sie mein Auto und mich verbindet, fallen einem die kleinen Schrullen des Anderen nicht mehr wirklich auf. Daran, dass der Fiat auf seinem Display gerne Karneval feiert, habe ich mich längst gewöhnt. Fröhlich leuchten und blinken die Piktogramme in rot, gelb, grün und blau. Aber nichts davon meint mein Wagen ernst: Die Heckklappe ist geschlossen, die Start-Stopp-Automatik funktioniert und der Motor wurde – obwohl die Anzeige das Gegenteil behauptet – bereits mehrfach kontrolliert und auch der Fehlerspeicher wiederholt ausgelesen: Alles in Ordnung. Bis auf das elektronische Display…

Auch ein sorgfältiger Blick in den Motorraum ist Teil des Vertrauens-Checks.

Weeber sieht mich nachdenklich an. Dann lenkt der den Wagen auf die Hebebühne. Ich hefte mich an seine Fersen und bin gespannt, wie sich mein treuer Fiat im harten Vertrauens-Check weiter schlägt. Nachdem der 47-jährige Wallenhorster die Bremsen getestet und sämtliche Scheinwerfer sowie die gesamte Beleuchtung unter die Lupe genommen hat, wirft er einen Blick unter die Haube. Sind Kraftstoff- und Kühlwasserleitungen dicht? Ist die Batterie fest montiert? Wie steht es um den Keilriemen? Weeber beugt sich mit seiner Taschenlampe in den Motorraum hinunter – und fördert mit stoischem Blick einen ziemlich zerknautschen Arbeitshandschuh zutage. „Brauchen Sie den noch, oder kann der weg?“ Manchmal ist mein Auto mir peinlich. Seine Fahrerin dem Fiat womöglich auch.

Vage Erinnerungen…

Weeber kämpft sich weiter durch die Liste der zu inspizierenden Posten. Mit einem kleinen Gerät in der Größe einer Stoppuhr misst er stichprobenartig die Dicke der Lackschicht – und enttarnt prompt ein leidlich kaschiertes Manko: Die rote Warnleuchte zeigt an, dass das Gelb am Radlauf hinten rechts nicht das Originalgelb ist und sich hier ein reparierter Schaden verbirgt. Ach ja, erinnere ich mich vage – da war doch mal diese Sache mit dem Betonpoller…

Hier warnt das Messgerät: Die Dicke der Lackschicht entspricht nicht dem Originalzustand!

Aus der Froschperspektive habe ich meinen Wagen noch nie betrachtet und bin sehr begeistert von all den kaum mit Rost überzogenen Rohren, den glänzenden Bremsscheiben und straff gespannten Kabeln auf dessen Unterseite. Habe ich schon erwähnt, dass ich absolut keine Ahnung von Kfz-Technik habe? Weeber erklärt mir, was die einzelnen Strukturen bedeuten – Getriebe, Auspuffanlage, Reserveradmulde, Antriebswellen, Stoßdämpfer – und erläutert geduldig, worauf es hier zu achten gilt.

Alles in allem, sagt er nach einer abschließenden Probefahrt, sei der Wagen in einem guten Zustand, dem Alter und der Laufleistung entsprechend. „Kaufen würde ich den allerdings nicht“, gibt er dem Fiat dann doch etwas überraschend für mich einen Korb, „jedenfalls nicht, bevor die Elektronik wieder in Ordnung gebracht ist und die Kontrollanzeigen nicht mehr aufleuchten.“ So, so. Wie gut, dass eine Trennung ohnehin nicht zur Debatte steht. Ich jedenfalls bin bereit, mit dem Gelben und all seinen extravaganten Verschrobenheiten auch noch die nächsten sechs Jahre über die Straßen des Tecklenburger Landes zu rollen. Bleibt nur zu hoffen, dass uns der TÜV bei der nächsten Hauptuntersuchung nicht scheidet.

Infos rund um den Vertrauens-Check gibt es beim Tüv Nord auf www. tuev-nord.de.

(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 17.07.2019)