Spiel mit dem Feuer – Glasperlen selber herstellen

Wie kommt das Glas auf den Dorn? Archäologin Dr. Claudia Siemann zeigt, wie man den glühenden Lava-Wurm an der Metallstange andockt und die Perle aufwickelt. Fotos (3): Ulrike Havermeyer

Umgeben von mehr als einem halben Dutzend Flammen, jede davon 750 Grad heiß, versuche ich mich an einer Jahrtausende alten Handwerkskunst: Glasperlen selber herstellen. Es dauert nur wenige Umdrehungen mit dem Edelstahldorn, bis der Funke der Faszination auf mich überspringt.

Nicht eben mit filigranem Geschick gesegnet, wird mir etwas mulmig zumute, als ich den Arbeitsraum der Volkshochschule in Lengerich betrete: Auf jede Teilnehmerin wartet ein solide auf einer metallenen Unterlage installierter Kartuschenbrenner. Daneben liegen Streichhölzer und die obligatorische Sicherheitsbrille. „Der Feuerlöscher befindet sich gleich hinter mir in der Ecke“, erläutert Kursleiterin Claudia Siemann, „ein Erste-Hilfe-Set, Pflaster, Wund- und Brandsalbe habe ich für alle Fälle auch immer dabei.“ Bisher sei in ihren Workshops aber noch niemand ernsthaft zu Schaden gekommen, versichert uns die promovierte Archäologin aus Münster mit einem zuversichtlichen Lächeln.

„Was genau tust du hier? Solltest du nicht besser an einem ruhigen, ungefährlichen Schreibtisch sitzen, weit weg von fauchenden Flammen und drohenden Schnittverletzungen?“, echot eine warnende Stimme durch meinen Kopf.  Doch die Abenteurerin in mir signalisiert unmissverständlich, dass jegliches Zaudern jetzt völlig fehl am Platze wäre: Dafür ist der Anblick der bunt verzierten Glasperlen, die Claudia Siemann als Anschauungsobjekte mitgebracht hat, einfach viel zu verführerisch und meine Neugier auf das noch Unbekannte entschieden zu groß.

Keine Angst vor verbrannten Fingern

Und überhaupt: Wie wäre es um die boomende Zierglasbranche heute wohl bestellt, hätten die alten Mesopotamier 3500 Jahre vor Christus oder später die Kelten und die Venezianer auf Murano das Risiko von verbrannten Fingern gescheut? Womöglich trügen wir noch immer nichts als fusselige Filzbällchen und grob geschnitzten Speckstein um unsere Hälse…

Durch beharrliches Drehen in der Flamme formt Archäologin Dr. Claudia Siemann den zunächst noch unförmigen Glasklumpen zu einer ebenmäßigen Perle.

Ganz im Geiste der frühgeschichtlichen Schmuckdesigner begeben wir Frauen aus dem Tecklenburger Land uns also mutig daran, unsere Kreativität zwischen Löschdecke und Baumarkt-Brenner kunstvoll ausperlen zu lassen. Mit jeder Menge Hintergrundwissen, technischem Know-how und einem ausgeprägten Händchen nicht nur für die Perlenherstellung selbst, sondern vor allem auch für deren Vermittlung, steht uns Claudia Siemann zur Seite.

Brenner an und Feuer frei!

„Das Glas ist der Herr“, rät sie uns dazu, unsere Ziele als Anfänger nicht zu hoch zu stecken. „Wenn ich ihm eine Perle abringen will, muss ich mich an seine physikalischen Eigenschaften halten.“ Wer das Material Glas, das im Hobbysegment in verschiedenfarbigen, zumeist etwa 50 Zentimeter langen und drei bis zehn Millimeter dicken Stäben angeboten wird, zu gefällig geformten Accessoires verarbeiten will, der muss es zunächst schmelzen. Also: Streichholz entzündet, Brenner an und Feuer frei!

Wie ein Spanferkel beharrlich in der Flamme gedreht, verwandelt sich das eine Ende des starren Stabes bereits nach wenigen Sekunden in einen glutroten Lavawurm. Nun gilt es die träge Gestalt, die sich immer wieder müde der Schwerkraft entgegen neigt, um einen ebenfalls in der Flamme erwärmten Edelstahldorn – von der Größe her einer herkömmlichen Stricknadel nicht unähnlich – zu wickeln. Das alles sollte synchron, möglichst zügig, aber keinesfalls hektisch vonstatten gehen – und stets im Einflussbereich der Flamme. „Den Dorn dabei immer vom Körper wegdrehen“, empfiehlt unsere Mentorin und korrigiert sanft meine Handhaltung: Während der Metallspieß, dessen Spitze mit einem Trennmittel überzogen ist, im hinteren-unteren Bereich der Flamme gehalten wird, gibt der Glasstab sein Material am effizientesten unmittelbar davor im mittleren-oberen Abschnitt der Flamme her. Der Schweiß, der sich beim Drehen meiner ersten Perle auf meiner Stirn bildet, stammt definitiv nicht nur von der Hitze des Feuers…

Am Anfang noch etwas zerbeult wirkende Eier

Ob Segment-, Augen- oder Überfangperle – die Vielfalt der schmucken Accessoires ist beachtlich. Etwa 3500 Jahre vor Christus haben die Mesopotamier damit begonnen, die ersten Glasperlen herzustellen.

Doch wie sich da in meinen Händen aus dem unförmigen Klumpen nach und nach – allein durch beharrliches Drehen in der Flamme – eine mehr oder weniger ebenmäßige Perle formt, ist ohne Frage ein fesselndes Erlebnis. Wie das kleine Kunstwerk dann anschließend behutsam abgekühlt wird, damit es nicht zerspringt – zunächst 20 Sekunden an der Luft, danach 20 Minuten in einem Gefäß voller feinkörnigem Vermiculit und final noch einmal zehn Minuten im kalten Wasserbad – ist ebenfalls eine Wissenschaft für sich. Als nicht zu unterschätzen erweist sich außerdem die erforderliche Raffinesse, um die Perle am Ende vom Dorn zu zwingen.

Aber die Ergebnisse des mühevollen Spiels mit dem Feuer sind echte Schätze: Nach einiger Übung  gelingen uns nach den anfänglich noch etwas zerbeult wirkenden Eiern sogar erste effektvolle Applikationen auf den immer anmutiger geschwungenen Kreationen: zarte Segment-, bunt gemusterte Augen- und opulent ausstaffierte Überfangperlen.

Was die heimische Werkstatt so hergibt…

Nicht für jedermann, aber für die eine oder andere dann doch, sei das Perlen sicherlich ein vergnügliches Hobby, das man ohne großen Aufwand und, ein reifer Verstand vorausgesetzt, auch recht risikofrei zuhause ausüben könne, klingen mir die Worte von Claudia Siemann noch lange durch den Sinn. Wie gut, dass in der heimischen Werkstatt meines Mannes der Kartuschenbrenner auf neue Herausforderungen förmlich zu warten scheint und die Fachfrau aus Münster außer ihrem Anfänger- auch regelmäßig einen Glasperlenkurs für Fortgeschrittene anbietet.

(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 26.09.2018)