Bastelanleitung für eine Erntekrone

Die Landfrauen verfügen nicht nur über reichlich Fingerspitzengefühl, sondern wissen auch, wie sich das Nützlich-Notwendige mit dem Gesellig-Angenehmen verbinden lässt. Fotos (5): Ulrike Havermeyer

Rechtzeitig zum Erntedankfest am 7. Oktober haben die Landfrauen aus Westerkappeln und Wersen zum Binden einer Erntekrone eingeladen. Ich schaue ihnen dabei auf die Finger.

„Hier beim Roggen erkennt man es am besten“, hält Birgit Leyschulte mir eine Garbe aus bläulich-grau schimmernden Halmen unter die Nase. Die Ähren sind gerademal so groß wie mein kleiner Finger, die Körner daran winzig. „Das ist in diesem Jahr alles höchstens halb so groß wie unter normalen Umständen“, sagt die Vereinsvorsitzende. Bei den anderen Getreidearten – Gerste, Hafer, Weizen und Triticale (eine Kreuzung aus Weizen und Roggen) – sieht es nicht wirklich besser aus.

Büschel für Büschel entsteht aus den fünf heimischen Getreidesorten – hier im Vordergrund Hafer – die Erntekrone.

Trotzdem wollen es die Landfrauen an diesem lauschigen Augustabend ganz ohne die Hilfe eines Rumpelstilzchens schaffen, aus dem kargen Getreide, dem die Dürre des Sommers 2018 unverkennbar in die Grannen gefahren ist, wenn auch keine güldene, so doch zumindest eine ansehnliche Erntekrone zu gestalten. Und die Landfrauen wären nicht die Landfrauen, wenn sie bei ihrer kreativen Zusammenkunft nicht das Nützlich-Notwendige mit dem Gesellig-Angenehmen verbänden.

Auf eigenen Äckern geschnitten

Säuberlich nach Sorten sortiert haben Christel Mennewisch und Birgit Leyschulte das Getreide auf den Bierzelttischen vor der Scheune des Hofes Leyschulte in Seeste aufgeschichtet. Bereits vor Wochen haben sie es per Hand auf ihren Äckern geschnitten, „aufgehängt, damit die Mäuse nicht ran gehen“ und sorgfältig an der Luft getrocknet. Das sei besonders wichtig, damit sich kein Pilz daran bilde.

Altehrwürdiges „Skelett“ aus Metall: Unter dem Getreide verbirgt sich die Jubiläumskrone des Schützenvereins Seeste von 1987.

Die tief stehende Sonne verwandelt die Szenerie für ein paar Augenblicke in ein malerisches Stillleben. Durch die Kulisse weht ein Hauch von Heimatmuseum. Doch schon greifen Annegret Munsberg, Ulrike Grothaus, Claudia Sievert und Elke Hackmann zu Rosenschere und Blumendraht und sorgen dafür, dass das idyllische Bild nicht in Schönheit erstarrt. Birgit Leyschulte entkorkt derweil den Rosé und verteilt die Gläser.

Was unterscheidet Gerste von Weizen?

Vor vier Jahren, erzählt sie, habe die Evangelische Kirchengemeinde Westerkappeln  angefragt, ob die Landfrauen den traditionellen Erntedankaltar im Gotteshaus zusätzlich zu Kürbis, Kartoffeln und Co. mit einer zünftigen Erntekrone aufwerten wollten. „Das fanden wir eine schöne Idee“, ließ sich die engagierte Truppe nicht lange bitten und holte nach eingehender Beratung die fast schon in der Vergessenheit versunkene Jubiläumskrone des Seester Schützenvereins von 1987, seinerzeit geschmiedet von Otto Koopmann, aus ihrem Fundus hervor. Die vier metallenen Bögen plus rundes Fundament eigneten sich bestens dafür, mit den fünf heimischen Getreidearten umflochten und geschmückt zu werden – die noch junge Tradition war begründet.

Wer wie die Landfrauen Hand in Hand arbeitet, erreicht in der Regel problemlos sein Ziel.

„Haben wir genug Gerste?“ Von ihrem Hocker herunter, den sie dicht an das aufgeständerte Gerüst geschoben hat,  dirigiert Christel Mennewisch uns „Erntehelferinnen“ zwischen den Garben umher. Zunächst gilt es, die Getreidesorten voneinander zu unterscheiden… Wie war das: Gerste hat die sehr langen und Weizen gar keine Grannen, oder? Sobald sämtliche Unklarheiten beseitigt sind, zupfen wir die Halme zu dichten Büscheln zurecht, stutzen sie auf handliche Länge und reichen sie hübsch geordnet an, sodass Christel Mennewisch  sie sauber drapieren und mit Rosendraht befestigen kann. Zwischendurch ein kräftiger Schluck Wein oder Wasser, je nach Geschmack – „das Stroh ist wegen der Trockenheit in diesem Jahr ungewöhnlich staubig“, murrt es wieder und wieder in unseren Kehlen.

Premiere beim Rübenball am 15. September

Als schließlich die Abendsonne mit ihren letzten Strahlen sanft über Seeste streicht, ist das Werk tatsächlich vollendet: Liegt es am über Jahrzehnte eingeschliffenen handwerklichen Geschick? An der lässigen Routine, dank derer sich die Landfrauen auch von der tüfteligsten Herausforderung nicht aus der Ruhe bringen lassen? Oder am unverwüstlichen Optimismus in allen Lebenslagen? Ihren ersten Auftritt hat die neue Erntekrone der Landfrauen beim Rübenball am 15. September auf dem Hof der Familie Leyschulte in Seeste. Anschließend können alle Interessierten sie beim Erntedankfest am 7. Oktober in der Evangelischen Stadtkirche ausgiebig unter die Lupe nehmen. Und wer ganz genau hinsieht, dürfte zwischen Roggen und Gerste, Triticale, Weizen und Hafer auch einige Halme landwirtschaftlichen Pragmatismus und etliche Büschel bodenständigen Humor entdecken.

Sie hat den Bogen raus: Mit gekonnten Griffen bindet Christel Mennewisch das Getreide zu einer üppigen Krone.

(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 29.08.2018)