Eine Riesenheuschrecke auf drei Rädern

Wie eine orangefarbende Riesenheuschrecke auf Rädern wirkt das Dreibein des Unterhaltungsverbands Düsterdieker Aa, mit dem Walter Lindemann seit fünfzehn Jahren die Entwässerungsgräben frei hält. Foto: Ulrike Havermeyer
Wie eine orangefarbende Riesenheuschrecke auf Rädern wirkt das Dreibein des Unterhaltungsverbands Düsterdieker Aa, mit dem Walter Lindemann seit fünfzehn Jahren die Entwässerungsgräben frei hält. Foto: Ulrike Havermeyer

Wild sieht es aus. Ziemlich unheimlich. Und, ja – mit seinen langen, wie lauernd angewinkelten Fangarmen auch irgendwie gefährlich. Walter Lindemann schüttelt den Kopf und winkt ab. „Für mich ist das ein Ding wie ein Auto“, sagt der Mitarbeiter des Unterhaltungsverbands Düsterdieker Aa. Auf andere wirkt das spektakuläre Dreibein, auf dessen Fahrersitz der 64-Jährige auch nach fünfzehn Sommern noch mit ungebrochener Faszination Platz nimmt, wohl eher wie eine orangefarbende Riesenheuschrecke auf Rädern. Das stählerne Insekt ist allerdings mindestens so nützlich wie Aufsehen erregend: Denn in den kommenden Monaten wird das messerbewehrte Räumfahrzeug wieder dafür sorgen, dass das Westerkappelner Regenwasser ungehindert durch die Entwässerungsgräben der Niederung abfließen kann.

Geländesicher und schonend durchs Naturschutzgebiet

Auf zwei Haupt- und einem hydraulisch unabhängig zu betätigenden Stützrad schnurrt das Dreibein – made in den Niederlanden – höchst geländesicher durchs Naturschutzgebiet Düsterdieker Niederung. Mit extrabreiten Reifen versehen, um die Last der Maschine sanft und gleichmäßig zu verteilen und den Erdboden der feuchten Wiesen zu schonen. „In enger Abstimmung mit der Gemeinde und der Biologischen Station mähen wir vom Unterhaltungsverband unsere Böschungen hier ein- bis dreimal im Jahr“, erklärt Walter Lindemann.

Graziles Insekt in Aktion

In bedächtigem Tempo lenkt er die Heuschrecke an den Vorfluter heran. Überraschend grazil schwenkt das Insekt den Arm vor der Fahrerkabine aus, an dessen Ende sich der Mähbalken befindet, und greift in den grünen Teppich hinein. Etwa hüfthoch sind die Gräser im Uferbereich schon gewachsen. Danach ist der hintere Arm dran: Seine metallenen Glieder entwirren sich und positionieren ein rotierendes Räumwerk auf der abschüssigen Böschung, das von zwei kleineren Rädern getragen wird. „Der Rest ist Fingerspitzengefühl“, sagt der gebürtige Mettinger.

Fingerspitzengefühl statt Knochenarbeit

Als Walter Lindemann vor mehr als vier Jahrzehnten seine Tätigkeit beim Unterhaltungsverband aufnahm, war das Ausmähen der Gräben noch echte Knochenarbeit: „In der ersten Zeit haben wir das mit einachsigen Frontmähern gemacht, die wir vor uns her geschoben haben“, erinnert er sich. Doch schon kurz darauf brach auch in der Düsterdieker Niederung die Ära der Dreibeine an. Das aktuelle Fahrzeug – Höchstgeschwindigkeit weniger als 20 Stundenkilometer, dafür mit 60 PS unter der Haube ein recht starker Brummer – ist bereits das dritte Modell, das sich für den Unterhaltungsverband durch die Vegetation frisst und den Weg frei macht für das Wasser, das aus dem Ortskern und dem Regenrückhaltebecken bis hierher geleitet wird: Vorne wird gemäht, hinten geräumt – und in der Mitte führt Lindemann ein wachsames Regiment.

Wo verschiedene Interessen aufeinander treffen

„Weil wir uns hier im Naturschutzgebiet befinden“, erklärt er, „dürfen die Böschungen nicht vor dem 15. Juni gemäht werden.“ Bis dahin hat sich der Nachwuchs von Kiebitz, Brachvogel und Co. in der Regel so weit entwickelt, dass die Küken selbstständig die Flucht ergreifen können. Wenn sich Lindemann und sein Dreibein ausnahmsweise früher ans Werk machen müssen, brauchen sie eine Sondergenehmigung. Entdeckt der 64-Jährige beim vorherigen Abgehen des Uferbereichs dann allerdings doch noch ein Gelege, setzt er an dieser Stelle seine Heuschrecke auf Diät und lässt einen entsprechenden Streifen Vegetation unangerührt zurück. „Bei uns in der Düsterdieker Niederung treffen nun einmal die Interessen von Landwirtschaft, Wasserwirtschaft und Naturschutz aufeinander“, gibt Lindemann salomonisch zu bedenken. „Aber die meiste Zeit über“, fügt er mit abwiegelndem Nicken hinzu, „sitzen wir ja doch alle im selben Boot.“

(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 27.05.2015; Westfälische Nachrichten, 27.05.2015)