Ein Ort zum Schwärmen

Ein Ort zum Schwärmen? Für Mehmet Öztürk und seine Honigbienen ganz sicher, denn hier, am selbst gebauten Bienenhaus im eigenen Garten, darf jeder auf seine Weise ins Schwärmen geraten: Während die Insekten aufgeregt um ihre Königin herum wimmeln, um ein neues Volk zu gründen, verfolgt der Imker das turbulente Schauspiel seiner diensteifrigen Stachelträger mit entwaffnender Gelassenheit. Foto: Ulrike Havermeyer
Ein Ort zum Schwärmen? Für Mehmet Öztürk und seine Honigbienen ganz sicher, denn hier, am selbst gebauten Bienenhaus im eigenen Garten, darf jeder auf seine Weise ins Schwärmen geraten: Während die Insekten aufgeregt um ihre Königin herum wimmeln, um ein neues Volk zu gründen, verfolgt der Imker das turbulente Schauspiel seiner diensteifrigen Stachelträger mit entwaffnender Gelassenheit. Foto: Ulrike Havermeyer

Nein, das Ziel ist noch nicht erreicht. Aber bereits im Vorfeld gerät derjenige, der sich auf den Weg zu Mehmet Öztürks Lieblingsplatz begibt, schnell ins Schwärmen: Der schmale, geteerte Pfad in Hambüren führt durch ein sanftes Tal zu einem beschaulich gelegenen Eigenheim am Rande eines Wäldchens. Drum herum: Äcker, Wiesen und Obstbäume. Die Lage ist eindeutig vielversprechend. Das Wetter heute auch: Die Frühlingssonne, die sich in diesem Jahr so lange rar gemacht hat, strahlt aus einem wolkenlosen Himmel auf das Idyll herab. „Kommen Sie näher“, lädt der 53-jährige in der türkischen Provinzhauptstadt Denizli geborene Familienvater ein und weist auf seinen Garten. Ein paar Schritte um die Mauerecke – und dort steht es. Öztürk lächelt stolz: „Mein Lieblingsplatz: unser Bienenhaus – alles selbst gebaut!“ Das stattliche Gebäude von den Ausmaßen einer kleinen Garage ist beeindruckend stabil konstruiert. Sein Holz in einem satten Gelb gestrichen. Und: Es ist umgeben von einem sehr vitalen, sehr renitent summenden Ring aus purer Verteidigungsbereitschaft. Dieses schwelende faunistische Pulverfass soll ein Lieblingsort sein?

Silbermedaille für ausgezeichnete Qualität

Als leidenschaftlicher und überaus versierter Imker kann Mehmet Öztürk das Vorurteil, sie seien aggressive kleine Plagegeister, natürlich nicht auf seinen Bienen sitzen lassen und tritt umgehend den Gegenbeweis an. Schnurstracks stiefelt er auf die sauber nach Südosten ausgerichteten Einflugschneisen für seine Gartengenossen zu, an denen reger Betrieb herrscht. Bei diesem Wetter gehen die Tiere emsig ihren Geschäften nach und sammeln Nektar und Pollen vom nicht weit entfernt gelegenen Rapsfeld, das in voller, leuchtend gelber Blüte steht. In guten Jahren produzieren die rund 50.000 bis 60.000 Individuen eines Bienenvolkes bis zu 20 Kilo Honig. Öztürk hält derzeit sieben Völker. Im vergangenen Jahr hat er bei der Honigbewertung des Landesverbands der Imker Westfalens die Silbermedaille für die hohe Qualität seines „gemischten Sommerhonigs“ bekommen.

Faulbrut erfolgreich bekämpft

Das war, kurz bevor die Amerikanische Faulbrut seinen Bienenbestand befallen hat. Öztürk schüttelt den Kopf: „Das schlimmste, was einem Imker passieren kann.“ Die komplette Brut musste er verbrennen. Beim Gedanken daran, auch noch sämtliche erwachsene Tiere zu töten, haben ihm die Tränen in den Augen gestanden. Die Amtstierärztin verordnete zum Glück eine Alternative: Die adulten Tiere wurden in desinfizierte Kästen umgesiedelt und mussten drei Tage hungern. Dadurch war die Chance gegeben, dass sie alle krankheitserregenden Bakterien, die sie mit dem Nektar zusammen aufgenommen hatten, wieder ausscheiden und die Seuche nicht weiter verbreiten würden. Eine erneute Beprobung bestätigte den Erfolg des Verfahrens: Keine Keime mehr vorhanden. Den Sperrbezirk hat das Kreisveterinäramt zwar vorsorglich noch immer nicht wieder aufgehoben, aber auch der jüngste, erst wenige Wochen alte Test durch das zuständige Bieneninstitut Rheinland-Pfalz ist zu Öztürks Erleichterung negativ ausgefallen. Seine Bienen sind gesund. Munter ja ohnehin.

„Türkische Bienen sind stechfreudiger“

Der Imker bewegt sich unbeirrt weiter durch das Gewirr aus Insektenleibern. Hin und wieder wischt er sich mit einer behutsamen Geste die eine oder andere neugierige Biene aus dem Gesicht, aber alles in allem teilt sich das brumselnde Meer der fliegenden Winzlinge mit der Bereitwilligkeit von gut dressierten Zirkuslöwen vor ihm und lässt Mehmet Öztürk gewähren. Keine Hektik – keine Stiche. Öztürk verharrt mitten in der Wolke der Geflügelten und lächelt zufrieden: „Kein Vergleich zu den türkischen Bienen in meiner Heimat“, sagt er und streicht sich ein vorwitziges Exemplar von der Wange. „Die türkischen Bienen, die waren wirklich stechfreudig.“ Die 18 Stöcke seines Großvaters hätten darum auch nicht etwa im Garten, sondern in sicherem Abstand zum Wohnhaus gestanden. „In Deutschland werden die Bienen ja schon seit Jahrzehnten auf Sanftmut hin gezüchtet.“ Na dann.

Bienenhosen in allen Farben

Der gelernte Elektriker kniet sich noch etwas dichter vor die Einfluglöcher: „Natürlich ist es schön, seinen eigenen Honig zu haben“, sagt er. „Aber deshalb bin ich kein Imker geworden.“ Er betrachtet den Schwarm mit aufmerksamem Blick. Lächelt. Und schweigt eine Weile. „Ich könnte stundenlang hier sitzen und zusehen, wie die Bienen zurückkommen.“ Mehmet Öztürk zuckt die Achseln und lacht etwas verlegen: „Ja, so ist das nun mal – wenn die Bienen mit den Pollen in den Stock zurückkehren, das finde ich am allerschönsten an der ganzen Imkerei.“ Um den Blütenstaub zu transportieren, haben die Tiere winzige sogenannte Körbchen an ihrem hinteren, stark behaarten Beinpärchen. In die hinein stopfen sie die Pollen zu bauschigen „Hosen“. Die Pollen sind je nach Pflanzenart unterschiedlich gefärbt: Die der Schneeglöckchen sehen orange aus, die des Klatschmohns tief violett. Die aktuelle Modefarbe der Bienenhosen tendiert eher zu einem zarten weiß-gelb: Raps.

Die Tücken es Neuanfangs

Als Mehmet Öztürk 1979 mit seiner Frau nach Deutschland kam, musste er seine Leidenschaft für die Honigbienen erst einmal begraben. Arbeit. Familie. Hausbau. Das ging vor. „Am schwierigsten war es für mich, mit dieser fremden Sprache Deutsch zurecht zu kommen“, beschreibt er die Tücken des Neuanfangs. In Westerkappeln, betont er, gefalle es ihm aber mittlerweile richtig gut. Er und seine Familie hätten dort schließlich ein ruhiges Plätzchen für sich gefunden. Bis 2009 hat er gewartet, bevor er sich dann doch sein erstes Bienenvolk in der neuen Heimat zugelegt und sein einstiges Hobby wiederbelebt hat.

„Die Luft in der Türkei riecht einfach anders“

„Ob wir im Alter in die Türkei zurückgehen oder in Deutschland bleiben?“ Öztürk wiegt den Kopf unschlüssig hin und her. „Eine sehr schwere Frage. Wir wissen es noch nicht“, sagt er. Seine inzwischen erwachsenen Kinder, ein Sohn und eine Tochter, sind hier geboren und verwurzelt. Und auch er und seine Frau haben viele ihrer Kontakte in der näheren Region. Wenn Mehmet Öztürk nicht gerade in Sachen Bienen im örtlichen Imkerverein tätig ist, engagiert er sich im Vorstand der Türkisch-Islamischen Gemeinde in Ibbenbüren. Was vermisst er in Deutschland? Da braucht er nicht lange zu überlegen: „Das warme Klima meiner Heimat.“ Er schließt die Augen und seufzt: „Die Luft in der Türkei riecht einfach anders.“ Und was würde er in der Türkei vermissen? „Die Ordnung – hier in Deutschland ist alles so schön übersichtlich“, nickt er zufrieden – und verschwindet neuerlich mit einem herzhaftem Lachen im Wirbel seiner ungestüm umher schwärmenden Honigbienen.

(Erschienen in: Westfälische Nachrichten, 24.06.2013)