Lichtsicht 6 – wenn die Kunst Baden geht …

Für einiges Aufsehen sorgen die Vorbereitungen für die Installation „Prime Time“ für die Lichtsicht 2017 im Kurpark in Bad Rothenfelde. Fotos (6): Ulrike Havermeyer

Für die Bad Rothenfelder Lichtsicht geht die Kunst Baden. Zumindest die Arbeit „Prime Time“ von Claudia Wissmann. Schon der Aufbau der Installation sorgt für allerlei Aufsehen. Zu den staunenden Zaungästen gehöre auch ich.

Eben noch als Servicefahrzeug über die Straßen von Warendorf gerattert – im nächsten Moment, schwupps, auf die Hebebühne gewuchtet, entkernt und, hast du nicht gesehen: ab ins Wasser! Dass seine Karriere hier im kleinen Krokodilteich an der Neuen Saline in Bad Rothenfelde nicht endet, sondern erst beginnt, stand dem weißen Ford Kastenwagen, Baujahr 1991, wohl nicht ins Fahrtenbuch geschrieben. Doch als Kunstobjekt für die Installation „Prime Time“ der Hannoveraner Künstlerin Claudia Wissmann, dürfte der Ford sich als eines der Highlights der am 29. September beginnenden Lichtsicht 6-Projektions-Biennale erweisen.

Wie soll das Kunstwerk im Krokodilteich platziert werden?

Mit großer Entourage angereist

Schon bei den Vorbereitungen zum Kunstwerk zieht der Ford die Blicke der Passanten auf sich. Kein Wunder, denn die blecherne Diva ist mit großer Entourage angereist: Trailer, Radbagger und die Drehleiter der Freiwilligen Feuerwehr drängeln sich um den Krokodilteich, eine mannstarke Crew aus Helfern und Organisatoren schwirrt umher. Sind genug Hebegurte vorhanden? Wird der Bagger die Last von knapp 500 Kilo auch sicher bewegen können? In welchem Winkel zum Betrachter soll der Wagen im Wasser platziert werden?

„Komplett umweltneutral“

Während sich Claudia Wissmann, Lichtsicht-Projektleiter Hermann Nöring, Koordinator Fritz Wagner, Baggerfahrer Jürgen Blömer und der technische Leiter der Projektions-Biennale, Christian Meyer, absprechen, steigt Andreas Becher noch ein letztes Mal zum Ford auf den Trailer. Sanft streicht der zum Visagisten avancierte Karosserie- und Fahrzeugbauer, der in den vergangenen Wochen den Kastenwagen präpariert hat, über den matt schimmernden Lack seines Schützlings, poliert hier und da noch ein wenig am Gesamteindruck herum. „Motor, Getriebe, Bremsschläuche – alles, was ölig und schmierig ist, haben wir entfernt“, erklärt er, „und den Wagen dann gründlich gereinigt. Der Ford ist jetzt komplett umweltneutral.“ Um ihn perfekt in Szene setzten zu können, hat Becher ein Gestell unter die Karosserie montiert. Front- und Seitenscheibe sind mit Folie abgeklebt, damit sie, wenn die Lichtsicht beginnt, als Projektionsfläche taugen.

Ein letztes Mal streicht Andreas Becher über den Lack seines Schützlings, bevor sich dieser in ein Kunstwerk verwandelt.

Täuschend echte Installation

Doch bevor Jürgen Blömer den Bagger anwirft, stellt Bauhofleiter Ulrich Priewe noch schnell die Hinweisschilder rund um den Teich auf: „Es handelt sich NICHT um einen Unfall oder einen Notfall!“, ist darauf zu lesen. Mit Ausrufezeichen. Die Polizei habe auf diesen gut sichtbaren Hinweis bestanden, betont Priewe. Denn als die Installation mit einem anderen Wagen bereits bei einer früheren Lichtsicht präsentiert worden sei, hätten viele Besucher die auf das Fahrzeug projizierte Szene für real gehalten und aufgeregt bei der Polizei angerufen. Nicht nur einmal… „Einige sind sogar selbst ins Wasser gesprungen, um die scheinbar ertrinkenden Auto-Insassen zu retten.“

Schocker soll für Bewegung im Kopf sorgen

Auch Claudia Wissmann erinnert sich noch gut an die Wirkung und nickt zufrieden. „Kunst soll ja etwas anstoßen in den Köpfen“, sagt sie. Bei ihren Werken im öffentlichen Raum arbeite sie daher gerne mit Kontrasten, erklärt die Künstlerin. „Ist das Umfeld hässlich, gestalte ich meine Objekte betont schön.“ Wie zum Beispiel bei ihrer bunten Lichtinstallation in einem ansonsten eher tristen Verbindungstunnel in Enschede. Hier im Kurpark in Bad Rothenfelde sei das Drumherum dagegen so hübsch angelegt, dass es, des dramaturgischen Effektes wegen, eines richtigen „Schockers“ bedürfe. Den hat Wissmann in einer Krimiverfilmung zur besten Sendezeit – eben jener titelgebenden Prime Time, entdeckt. „Wir holen einen Ausschnitt aus einer Abendserie in die Wirklichkeit“, beschreibt sie: „Man sieht einem Pärchen beim Ertrinken zu – ein ständiger Todeskampf, der sich wieder und wieder wiederholt.“ Da läuft mir ja schon beim Zuhören die Gänsehaut über den Rücken…

„Kunst soll etwas anstoßen in den Köpfen“, sagt Claudia Wissmann und setzt dabei auf Kontraste. Der Ford ist in ihrer Arbeit „Prime Time“ zu sehen.

Illegale Schrottentsorgung im Kurpark?

Inzwischen hat das Helferteam die Hebegurte befestigt, der Ford schwebt Zentimeter um Zentimeter durch die Lüfte. Kurgäste, Spaziergänger und sportliche Senioren mit Walking-Stöcken betrachten neugierig das Spektakel. Einige schütteln verständnislos die Köpfe: Illegale Schrottentsorgung mitten im Kurpark? „Das ist Kunst“, erklärt Ulrich Priewe geduldig und verweist mit vielsagendem Blick auf die Beschilderung. Wie in Zeitlupe senkt sich der Ford ab und durchschneidet die Wasseroberfläche. „Etwas weiter links“, dirigiert Claudia Wissmann mit Argusaugen – „einen halben Meter nach vorne!“ Mit Anglerhosen waten Andreas Becher und Fritz Wagner um den nun endgültig zum Kunstwerk mutierten Lieferwagen herum und rücken ihn behutsam ins rechte Licht.

Am besten: sich selbst ein Bild machen!

Ästhetisches Ärgernis? Medienkritische Reflexion? Dramatischer Denkanstoß? Was der vermeintlich verunfallte Ford im eignen Kopf auslöst, kann jeder selbst herausfinden: Vom 29. September 2017 bis zum 28. Januar 2018 lädt die Lichtsicht 6-Projektions-Biennale in Bad Rothenfelde mit insgesamt 20 Arbeiten von 20 Künstlern zum Betrachten, Genießen – und natürlich: zum Nachdenken ein.

Froschmänner: Andreas Becher und Fritz Wagner rücken den Ford in die richtige Position.

(Erschienen auf blog.osnabruecker-land.de, August 2017)