Über allen Wipfeln ist Ruh

Regelmäßig bieten die Landesforsten Niedersachsen Führungen an, bei denen sich Interessierte über das Konzept des Friedwaldes informieren können. Naturfreunden steht das Gelände aber auch für private Spaziergänge zur Verfügung. Foto: Ulrike Havermeyer

Wer in Lotte oder Westerkappeln nach einem Ort für die letzte Ruhe sucht, ist auf die zentral gelegenen Friedhöfe angewiesen. Alternative Formen der Bestattung bietet die Nachbargemeinde Bramsche an: Im Friedwald werden die Urnen im Schatten alter Bäume beigesetzt.

Als ich den Wald zwischen Achmer und Ueffeln betrete, trägt mich eine Ahnung – all das hier, die stattlichen Rotbuchen, den sanft geschwungenen Bachlauf, das dezent hügelige Geläuf, schon einmal gesehen zu haben – drei Jahrzehnte in der Zeit zurück. Ein Buchfink schmettert seinen Ruf durch die noch kühle Frühlingsluft. Das welke Laub der vergangenen Saison raschelt unter meinen Wanderschuhen. Na klar, jetzt fällt es mir wieder ein – hier bin ich als Jugendliche oft mit meinen Großeltern spazierengegangen. Sichtbar verändert hat sich seitdem kaum etwas, die Uhr der Natur tickt bedächtiger als die an meinem Handgelenk. Und doch hat sich in dem einstigen Wirtschaftswald vieles getan, was dem einen oder der anderen eine völlig neue Perspektive auf die eigene Vergänglichkeit und deren persönliche Planung eröffnen dürfte.

Um die 2060 Urnen beigesetzt

Um mir die Idee des Friedwaldes erklären zu lassen, habe ich mich der Führung von Friedwaldförster Elmar Hermes angeschlossen. Gemeinsam mit rund zwei Dutzend anderen Teilnehmern stiefel ich durchs lichte Unterholz, um kleine Inseln aus Buschwindröschen und Sauerklee herum, mitten hinein in die idyllische, ja beinahe märchenhaft wirkende Vegetation des Naturparks Terra vita am Rande des Osnabrücker Landes. Seit Dezember 2003 werden hier 51 Hektar des geschützten Flora-Fauna-Habitat-Gebietes nicht mehr forstwirtschaftlich, sondern als naturnah belassene Bestattungsfläche genutzt. Um die 2060 Urnen seien mittlerweile beigesetzt worden, berichtet Elmar Hermes. Träger des Friedwaldes ist die Stadt Bramsche, die das Gelände als kommunalen Friedhof ausgewiesen hat. Die Fläche selbst gehört dem Land Niedersachsen.

Kulisse wie im Märchen

Elmar Hermes deutet auf knorrige Eichen und wie in einer gewagten Yoga-Übung erstarrte Hainbuchen hin. Es bedarf keiner großen Fantasie, um sich als Wanderer zwischen den Welten in die verzauberten Kulissen der Gebrüder Grimm versetzt zu fühlen. „Unter forstwirtschaftlichen Aspekten hätten solche Exemplare längst gefällt werden müssen“, gibt Elmar Hermes zu bedenken, „aber hier sind sie bewusst ausgewählt worden, schließlich soll ein Friedwald nicht nur aus geraden Bäumen bestehen, sondern etwas Romantisches haben.“ Er bleibt an einer verzwirbelt gewachsenen Hainbuche stehen, um deren Stamm ein Mitarbeiter der Niedersächsischen Landesforsten ein blaues Band gebunden hat. So also sieht er aus, der typische Friedwaldbaum: urig, authentisch, charaktervoll.

Bäume für Familien und Freunde

„Das hier ist ein sogenannter Familienbaum“, erklärt Hermes. Was allerdings nicht bedeute, dass unter ihm nur Familienmitglieder bestattet werden dürften. Wer einen solchen Baum, dessen Preis je nach Wuchs und Lage zwischen 2700 und 6350 Euro liege, erwerbe, könne sich die zehn Urnenplätze, die um den Stamm herum verteilt seien, ebenso mit Freunden oder Bekannten teilen. „Sie brauchen auch nicht alle Plätze zu belegen – das bleibt ganz Ihnen überlassen“, erklärt der Friedwaldförster. Außer den Familienbäumen bietet die Firma Friedwald auch Gemeinschaftsbäume (gelbes Band), Partnerbäume (rotes Band) oder Basisplätze zu vergünstigten Konditionen an. Nur an Bäumen, die mit einem bunten Band gekennzeichnet sind, seien aktuell noch Urnenplätze zu vergeben. Die nächste Parzelle werde aber bereits erschlossen.

Grabpflege übernimmt die Natur

Abgesehen von den farblichen Markierungen, deutet kaum etwas darauf hin, dass sich der Friedwald von anderen Naherholungsgebieten unterscheidet: Spaziergänger ziehen plaudernd an uns vorüber. Hundebesitzer führen ihren Vierbeiner an der Leine Gassi. Von erkennbaren Gräbern wie auf anderen Friedhöfen, keine Spur. „Die Grabpflege übernimmt bei uns die Natur“, klärt uns Elmar Hermes auf. Sei die Urne beigesetzt, werde lediglich etwas Laub über die Stelle gestreut. Wer eine Blume für den Verstorbenen ablegen wolle, könne das an dem zentralen Gedenkstein tun, am Urnenplatz selbst sei das nicht erlaubt. „Schließlich befinden wir uns hier in einem Naturwald, dessen Flora wir nicht verfälschen wollen.“ Lediglich eine schlichte, etwa scheckkartengroße Plakette am Stamm des Baumes dient als Gedächtnis. Hier können die Hinterbliebenen Namen, Geburts-und Sterbedatum oder einen Spruch anbringen lassen.

Erinnerungen steigen auf

Als die Führung beendet ist, nutze ich die Gelegenheit, noch etwas tiefer in den Wald hinein zu wandern. Hier und da steigen vage Erinnerungen an die Ausflüge mit meinen Großeltern auf. Während mein Großvater mit stets wachem Blick die Wipfel nach Singvögeln absuchte, von denen er die meisten Arten am Gesang erkannte, waren die Augen meiner Großmutter in der Regel auf die bunte Pflanzenvielfalt am Boden gerichtet. Gegenseitig machten sich die beiden immer wieder erfreut auf die Schönheiten aufmerksam, die sie entdeckt hatten. Ihnen hätte das Konzept des Friedwaldes sicherlich gefallen.

(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 13.04.2017)