Und ewig lockt die Moorwächterin

Weder Land noch Wasser: Warum das Hochmoor so ein faszinierender Lebensraum ist, vermittelt Moorwächterin Nina Dierkes den Teilnehmern während einer abendlichen Wanderung. Foto: Ulrike Havermeyer

Seit ihrer Gründung 1976 kümmert sich die ANTL um die Pflege und den Erhalt des Recker Moors. Die 536 Mitglieder, darunter 84 Naturfreunde aus Lotte und Westerkappeln, wollen den rauen Charme dieses unwirtlichen Biotops auch Anderen näher bringen.

Ein klammer Vorhang aus dunkelgrauen Abendwolken sperrt das fahle Licht der untergehenden Frühlingssonne endgültig aus der Kulisse. Kälte und Dämmerung schleichen sich heran. Unter meinen Stiefeln gurgelt und matscht es. Der Boden gibt bei jedem Schritt bedrohlich nach. Ganz schön unheimlich, schießt es mir durch den Kopf, während ich versuche, meinem Vordermann nicht in die Hacken zu stolpern. Wer einen Schal dabei hat, zieht ihn jetzt dichter um seinen Hals. Ich habe keinen. Gemeinsam mit knapp zwei Dutzend Wanderbegeisterten taste ich mich durch einen Lebensraum, der – wie uns Nina Dierkes erklärt – „weder Land noch Wasser“ ist: das Hochmoor.

Vorsicht, Irrlichter!

Unter dem viel Grusel versprechenden Titel „Mit der Moorwächterin durchs abendliche Recker Moor“ stimmt uns die 31-jährige Hopstenerin, die sich seit 2015 als Kulturlandschaftsführerin in der Arbeitsgemeinschaft für Naturschutz Tecklenburger Land (ANTL) engagiert, auf die zweistündige Wanderung ein: orakelt von sündigen Nonnen, ungetauften Kindern und anderen unerlösten Seelen, die von den Irrlichter ins Moor – und damit ins Verderben gelockt werden. Von Wiedergängern und Moorleichen. Von geheimnisumrankten Begebenheiten und schaurigen Toden. Die erwartungsfreudigen Abenteurer nicken eifrig: Ungewöhnlich sei es im Moor, beschreiben sie ihre mitgebrachten Vorstellungen, nass, ruhig, einsam und gefährlich. Aber, da sind sich alle einig – trotz oder gar wegen dieses Quäntchens an wohligem Schauder, ist das Moor doch vor allem eines: extrem faszinierend.

Potenzieller Nervenkitzel

Und das nicht nur wegen des potenziellen Nervenkitzels. „Das Recker Moor ist eine einzigartige Landschaft, die direkt vor unserer Haustür liegt“, verlässt Nina Dierkes die schummrig ausgeleuchtete Welt der Mythen, Legenden und Gerüchte – und wendet sich einer Betrachtungsweise zu, die der ehemaligen Biologie-Studentin deutlich spürbar am Herzen liegt: das Moor als kostbarer Lebensraum, als Bestandteil des europäischen Naturerbes, der nicht nur eine exklusive Auswahl hochspezialisierter und vom Aussterben bedrohter Pflanzen und Tiere wie Sonnentau, Schlingnatter oder Moorfrosch beheimatet, sondern auch als nachhaltiger Wasser- und Kohlenstoffdioxidspeicher das Klima auf unserem Planeten entscheidend mit beeinflusst.

371 Hektar Naturschutzgebiet

Torfmoose können mehr als das 25-Fache ihres eigenen Gewichtes an Wasser einlagern, erklärt uns Nina Dierkes, und obwohl sie nur drei Prozent der weltweiten Landfläche ausmachten, speicherten die Moore doppelt so viel CO2 wie alle Wälder auf der Erde zusammen. „Ursprünglich erstreckten sich das Recker und das Mettinger Moor über 5000 Hektar“, berichtet sie uns, während wir vom Aussichtsturm aus andächtig die einstige Weite dieser mächtigen Landschaft zu erahnen versuchen. „Heute umfasst das Naturschutzgebiet 371 Hektar, von denen etwa 150 Hektar reines Hochmoor sind“, erläutert die Kulturlandschaftsführerin.

Teppich aus welkem Wollgras

Schemenhaft lässt inzwischen der schüttere Halbmond den verblichenen Teppich aus welkem Wollgras und struppiger Heide erkennen. Über uns zieht schnatternd ein Schwarm Kanadagänse auf dem Weg zu seinem nächtlichen Rastplatz hinweg. In der Ferne grast einsam ein dürres Schimmel-Pony. Jeden Schritt mit Bedacht auf den schwankenden Untergrund setzend, staksen wir den holprigen Torfdamm entlang, den die Mitglieder der ANTL hier angelegt haben, um das Wasser im und die Besucher aus dem empfindlichen Moor heraus zu halten.

Fragil und schützenswert

Ja, etwas schaurig war‘s schon, übers Moor zu gehn. Jedoch hat uns dessen beherzte Wächterin fraglos auch von seiner herber Schönheit, seiner enormen Bedeutung und seiner fragilen, schützenswerten Natur überzeugt. Nein, wir brauchen vor diesem geheimnisumwitterten Biotop keine Angst zu haben. Wenn das Moor könnte, hätte es wohl vielmehr allen Grund dazu, sich vor uns Menschen zu fürchten: Denn indem wir auch heute noch gedankenlos die Moore trockenlegten, um ihre über Jahrtausende gewachsenen Torfschichten zu günstiger Blumenerde zu verarbeiten, trügen wir zum Untergang dieser einzigartigen Lebensräume bei, fordert Nina Dierkes zum Kauf alternativer Produkte auf. „Wenn Ihr diese Erkenntnis mitnehmt und künftig beherzigt, bin ich zufrieden“, sagt sie.

Einladung zum Entkusseln

Wer dem Recker Moor noch näher kommen möchte, den verweist die Moorwächterin auf die Internetseite der ANTL. Unter www.antl-ev.de finden sich alle aktuellen Termine vom Entkusseln (das Entfernen unerwünschter Gehölze, zum Beispiel junger Birken) der Moorfläche bis hin zu geführten Exkursionen und Fachvorträgen. Nina Dierkes wird voraussichtlich erst wieder am Jahresende ihre Petroleumlaterne anzünden, um ahnungslose Ausflügler zu mehr naturkundlicher Einsicht in die Weiten des Recker Moors zu locken.

(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 08.02.2017)