Süßer die Flöten nie klingen…

Egal wie groß oder klein die Gruppe – gemeinsam musizieren macht einfach Spaß (von links): Clara (7 Jahre), Faina (7) und Xenia (7) üben mit Musiklehrerin Susanne Rothkegel-Läsche ihre Lieblings-Weihnachtslieder ein. Foto: Ulrike Havermeyer
Egal wie groß oder klein die Gruppe – gemeinsam musizieren macht einfach Spaß (von links): Clara (7 Jahre), Faina (7) und Xenia (7) üben mit Musiklehrerin Susanne Rothkegel-Läsche ihre Lieblings-Weihnachtslieder ein. Foto: Ulrike Havermeyer

Früher war mehr Lametta. Ganz klar. Und mehr Klangvolumen. Dreistimmig war Standard in den 80er Jahren. Vierstimmig keine Seltenheit. Um die 50 aufgeregte Mädchen und Jungen, manchmal wohl auch mehr als 60 – fluteten regelmäßig den Altarraum der evangelischen Kirche in Wersen mit ihren handlichen Instrumenten. Adventsfeiern, Weihnachtsgottesdienste, Krippenspiele – nichts und niemand war vor uns Flötenkindern sicher! Bei uns zuhause gehörte das schräg geblasene Fis zur Weihnachtszeit wie der Schnee, die zugefrorenen Wasserhähne im Stall und die Rübenkrautplätzchen meiner Großmutter.

Zwischen Wollresten, Prickelunterlage und Wachsmalkreide entdecke ich in der Krimskrams-Schublade der Kommode unsere ausgediente Familien-Blockflöte. Nur einmal die Uhr zurückdrehen, denke ich, und mittendrin im polyphonen Chorzauber längst vergangener Kindertage schwelgen. Weihnachten – genau die richtige Gelegenheit für eine Reise in die Vergangenheit. Aber Jutta Kiquio sorgt für Ernüchterung: „Wersen flötet nicht mehr“, klärt mich die Pastorin auf. Und auch Kirchenmusikdirektor und Kreiskantor Martin Ufermann aus Westerkappeln bläst ins gleiche Horn: „Die Zeit der großen Kinderflötenchöre ist vorbei.“ Allerdings: Seit beinahe 20 Jahren existiert in seiner Kirchengemeinde das „Flötenensemble“, in dem rund 25 Erwachsene proben – und, betont Ufermann, auch Gottesdienste mit gestalten. „Singen liegt aber zurzeit viel eher im Trend: vor allem Gospel und Pop.“ Unbeirrt ob solcher Prognosen mache ich mich, das Flötenmäppchen in der Hand, auf den Weg zur privaten Musikschule von Birgit Lindlage in der alten Westerbecker Mühle: wenn nicht Kirchenchor, dann eben Hausmusik.

In familiärer Atmosphäre

Claras hohes E klingt lupenrein. Richtig schön hört sich das an. Und wenn Faina und Xenia in den Refrain von „Jingle Bells“ einstimmen, dann merkt man, dass auch drei zarte Sopranstimmen eine intensive Atmosphäre schaffen können. Seit einem guten Jahr lernen die Siebenjährigen bei Susanne Rothkegel-Läsche, wie sie ihrer Blockflöte die richtigen Töne entlocken. Die Größe der Gruppen ist sowohl in der Musikschule „Musaik“ wie auch bei „Pro Musica“, der privaten Musikschule von Veronika Hoffstädt, eher „familiär“. Genauso wie die Stimmung. War der Unterricht zu meiner Kinderzeit von einer Art „sanfter Disziplin“ geprägt, geht es heute viel mehr um das gemeinsame Gesamterlebnis.

Wiedereinsteigerfreundliche Melodien

Auf dem Notenständer haben Clara, Faina und Xenia „Ihr Kinderlein kommet“ aufgeschlagen. Susanne Rothkegel-Läsche gibt den Einsatz – und wir legen los. Zuversichtlich lavieren wir uns durch Viertel- und Achtelnoten. Die Melodiestimme ist anfänger- und wiedereinsteigerfreundlich: kein Fis und kein B – herrlich. Hier bin ich richtig!

Lampenfieber und Vorfreude

„Jetzt mal zweistimmig“, schlagen die Mädchen vor. Die Musiklehrerin nickt. Ich starre etwas ratlos auf die mir unbekannte Tonfolge. „Jeder übernimmt die Stimme, die er mag“, sagt Susanne Rothkegel-Läsche. Glück gehabt. Es folgt „Lasst uns froh und munter sein“ (mit punktierten Viertelnoten), „Joseph, lieber Joseph mein“ (im Sechs-Achtel-Takt) und „Oh, Tannenbaum“ (B statt H). Mit jeder Strophe, die wir musizieren, wird es uns fünf kleinen und großen Flötenspielern weihnachtlicher ums Herz. Am Heiligen Abend, verraten wir einander, werden wir unseren Familien das Warten auf die Bescherung musikalisch verkürzen. Ein bisschen Lampenfieber und ganz viel Vorfreude pulsiert durch unsere Adern. Fast wie früher.

(Erschienen: Neue Osnabrücker Zeitung, 22.12.2014; Westfälische Nachrichten, 23.12.2014)