Ein warmes Licht für trübe Tage

Profis an der Klebstoffflasche (von rechts): Soe, Felix, Soes Mutter Maria Simson, Jonas und seine Mutter Regina Wilwert basteln gemeinsam aufwendig verzierte Laternen für den Martinsumzug. Foto: Ulrike Havermeyer
Profis an der Klebstoffflasche (von rechts): Soe, Felix, Soes Mutter Maria Simson, Jonas und seine Mutter Regina Wilwert basteln gemeinsam aufwendig verzierte Laternen für den Martinsumzug. Foto: Ulrike Havermeyer

Der Evangelische Kindergarten in Wersen lädt zu seinem traditionellen Martinsumzug ein. Wie in jedem Jahr haben hierfür wieder viele Kinder gemeinsam mit ihren Eltern eine eigene Laterne gestaltet. Auch ich versuche mein Glück.

Ein Dino schaut mir beim Schreiben zu. Er kauert vor mir auf dem Arbeitstisch, mit gefletschten Zähnchen und feuerfarbenden Kulleraugen. Sein Bauch leuchtet in einem zarten Grün, als habe er etwas voreilig eine unreife Portion Licht verschlungen. Kaum zu glauben, dass sich aus einem Bogen gefärbtem Transparentpapier, etwas buntem Tonkarton und einer alten Camembert-Schachtel solch ein putziges und markantes kleines Martinsmonsters basteln lässt. Und noch größer ist mein Erstaunen darüber, dass sogar ich, mit zwei linken Händen und einer nicht mehr zu leugnenden Sehschwäche im Nahbereich gestraft, das geschafft habe.

Lustlos gähnt der November

Am Anfang meines Bastelabenteuers ist der kleine Drache allerdings noch gar kein kleiner Drache, sondern nichts als eine Möglichkeit, die sich in einem dicken Stapel aus allerlei Bastel- und Dekomaterial versteckt. Während ich mich zu Felix (drei Jahre), Jonas (vier) und Soe (zwei) in die Hasengruppe des Evangelischen Kindergartens in Wersen geselle, gähnt ein trüber Novembernachmittag uns durch die Festerscheiben lustlos an. Nebel und Wolken saugen die Farbe aus der Natur und bleichen Blumen, Bäume und Spielgeräte grau. Aber weder Felix noch Jonas, und erst recht nicht Soe und ich, lassen uns von der, der gleißenden Sommersonne abgeneigten Erdachse den Spaß am Herbst verderben: Wir basteln uns unser eigenes, ganz persönliches Gute-Laune-Licht, das uns vor dem Dunkle-Jahreszeiten-Blues bewahren soll.

Erinnerung an Sankt Martin

Dem alten Brauch folgend, lädt der Evangelische Kindergarten jedes Jahr um den elften November (Martinstag) herum zu einem Umzug durch die Gemeinde ein: In Erinnerung an Sankt Martin und dessen noble Tat, seinen Mantel mit einem Bettler zu teilen, ziehen die Mädchen und Jungen mit ihren Eltern und Geschwistern, Großeltern und Freunden singend durch die abendliche Dämmerung und schwenken dabei fröhlich ihre – überwiegend selbstgebastelten – Laternen.

Sechzig bastelerprobte Kinder

„Genau wie die Kinder dürfen auch sie sich selber aussuchen, was für eine Laterne sie gestalten wollen“, begrüßt mich Erzieherin Heidrun Kijewski und führt mich den Flur entlang, an dessen Ende die drei zur Auswahl stehenden Modelle von der Decke baumeln: ein käferförmiger Pkw mit lächelndem Gesicht, ein geringelter, von Glitzersternen übersäter Zylinder – und eben: der Dino. Mit seinem vorwitzigen Blick erinnert mich das grüne Kerlchen augenblicklich an Urmel aus dem Eis und avanciert somit konkurrenzlos zu meinem Favoriten. „Um die 60 Kinder haben hier auf drei Nachmittage verteilt ihre Laternen gebastelt“, freut sich Kindergartenleiterin Barbara Hilgemann über das muntere Treiben. Heidrun Kijewski drückt mir die Schablonen in die Hand und nickt aufmunternd in Richtung Bastelecke. Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie Felix bereits damit beschäftigt ist, seinen Bogen Transparentpapier mit bunten Streifen in Vfl-Osnabrück-Optik zu verzieren. Papa Oliver Langkau schneidet derweil fleißig Sterne aus Tonkarton, Mama Maike assistiert sorgsam mit der Klebeflasche.

Klebstofffäden und Glitzersterne

Am grünen Dino-Material-Stapel treffe ich Soe und ihre Mutter Maria Simson. Die beiden sind, anders als ich, bastelerprobt und erklären mir geduldig, wie ich mir die Einzelteile für meinen Urmel zurecht schnippeln muss: Oberkiefer, Unterkiefer, Gebiss in Weiß, Tatzen und Drachenschwanz. Während ich mir erstmal etwas Klebstoff auf die Hose kleckere, hält Felix mir voller Stolz seine beinahe fertige Kreation entgegen. „Wir sind aber auch schon zum zweiten Mal beim Laternebasteln dabei“, erklärt Mutter Maike die professionelle Arbeitsteilung ihrer Familie. Ich kämpfe derweil mit diversen Glitzersternchen und Papierschnipseln, die sich in den Klebstofffäden auf meinen Armen und Fingern verfangen haben – und drücke dann einigermaßen außer Atem den Urmel-Kopf auf dem Transparentpapier fest. Vor lauter Kleber glitscht der Schädel planlos über den Zylinder. Ich spüre erste Schweißtropfen auf meiner Stirn. Felix marschiert Martinslieder trällernd zwischen den Gruppentischen herum: „Ich geh mit meiner Laterne…“

Reichlich Platz im grünen Wanst

Doch endlich und überraschenderweise fügen sich auch meine Dinosaurier-Fragmente irgendwann zu einem Martins-Urmel zusammen. Etwas zerzaust wirkt der kleine Drache, aber in seinem grünen Wanst ist reichlich Platz für ein aufmunterndes und das herbstliche Gemüt erwärmendes Kerzenlicht, vorzugsweise auf kinder- und journalistinnensicherer LED-Basis. Ich bemerke nebenbei, wie meine Daumen noch immer fest an meinen Zeige- und Mittelfingern pappen und versuche erst gar nicht, mir ein darob rundum zufriedenes Grinsen zu verkneifen. Heidrun Kijewski lächelt mir zu: „Hat es Spaß gemacht?“, fragt sie schmunzelnd. „Das hat es!“, versichere ich.

(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 09.11.2016)