Willkommen im Internet !

Neugieriger Blick in den Cyberspace: Kursleiter Günter Kastner öffnet nicht nur das PC-Gehäuse, sondern mit ihm auch eine Tür in die bis dato für die meisten Teilnehmer noch unbekannten Weiten der digitalen Welt.
Neugieriger Blick in den Cyberspace: Kursleiter Günter Kastner öffnet nicht nur das PC-Gehäuse, sondern mit ihm auch eine Tür in die bis dato für die meisten Teilnehmer noch unbekannten Weiten der digitalen Welt. Foto: Ulrike Havermeyer

Mit einem beherzten Ruck hebt Günter Kastner den matt schimmernden Metalldeckel vom sperrigen Gehäuse: Und in dieser nüchternen Blechschachtel, in der gut und gerne ein solides Paar warm gefütterter Winterstiefel Platz finden könnte, soll es also drin stecken, das Tor zum Internet? Zehn abenteuerlustige Senioren aus Lotte und Westerkappeln beugen sich gespannt über den unbekannten Kosmos aus Kabeln, Platinen und Prozessoren. Auf den Spuren ihrer Kinder und Enkel wagen die „digitalen Einwanderer“ einen VHS-geführten „Einstieg in die PC-Welt“. Bei der ersten von insgesamt acht Etappen der Expedition schaue ich ihnen über die Schulter. Damit keiner auf der Reise durch die endlosen Gefilde der Bits und Bytes verloren geht, hat Günter Kastner seinem Kurs den Zusatztitel „Grundlagen mit Muße“ plus drei „!!!“ gegeben.

„Selbständig das Dingens da in Bewegung setzen“

Rechner? Digitalkamera? MP-3-Player? „Brauche ich alles nicht“, sagt ein älterer Herr und schüttelt entschieden den Kopf: „Ich habe einen großen Garten, in dem ich mich wunderbar beschäftigen kann.“ Warum sitzt er dann trotzdem im PC-Kurs? Der Mann schiebt die Maus an der Tischkante entlang. „Man will ja schließlich mitreden können“, sagt er. Zwei Reihen hinter ihm meldet sich eine Seniorin zu Wort: Sie hat sich vorgenommen, endlich unabhängig zu werden vom Wissens- und Erfahrungsvorsprung ihrer Kinder. „Ich will selbständig das Dingens da in Bewegung setzen und mit ihm arbeiten können.“ Zustimmendes Nicken ihrer Mitstreiter. Hier und da ist verärgertes Murren zu hören. „Ach ja, die Kinder…“ – Immer in Eile. Keine Geduld. Den hoffnungslos analogen, nicht zu komplexen digitalen Handlungen fähigen Eltern oder Großeltern am PC gern etwas abnehmen – ja, das schon. Aber erklären? „Dafür haben die ja gar keine Zeit mehr.“ Meine Gedanken wandern zum eigenen Sprössling herüber – wollte der Junge mir nicht schon vorige Woche zeigen, wie das neue Bildbearbeitungsprogramm funktioniert?

Unbekanntes in Vertrautes verwandeln

Zeit hat Günter Kastner reichlich. Zeit und Geduld – und eine Menge Verständnis für jeden, der sich ohne viel Erfahrung, aber mit umso mehr Mut und Überwindung aufmacht, die Geheimnisse von Laptop, Smartphone und Co. zu ergründen. „Das gilt für Menschen jeden Alters“, betont Kastner, „es gibt auch Jüngere, die bisher noch keine Gelegenheit hatten, sich mit der Technik auseinander zu setzten oder Personen, die beispielsweise einen Schlaganfall erlitten und einiges von dem, was sie bereits wussten, wieder vergessen haben.“ Unbekanntes in Vertrautes verwandeln: „Das dauert“, gibt Kastner zu bedenken. „Wenn Sie 25 Mal das Programm geöffnet haben, 25 Dateien angelegt, bearbeitet und gespeichert – und 25 Mal so richtigen Mist im System gebaut und trotzdem nicht aufgegeben haben – dann werden Sie langsam sicherer, glauben Sie mir.“ Bevor die Kursteilnehmer jedoch ihre ersten eigenen Schritte im digitalen Terrain unternehmen, leuchtet Günter Kastner das Feld gemeinsam mit ihnen noch einmal gründlich aus: Was ist ein Betriebssystem? Welche unterschiedlichen Datenträger gibt es? Warum braucht man vor einem Update keine Angst zu haben, sollte hingegen einem ungefragten Upgrade durchaus kritisch begegnen?

Mein ganz persönlicher Pfadfinder in die digitale Welt …

„Das scheint ja alles gar nicht so kompliziert zu sein, wie ich befürchtet habe“, zieht der überzeugte Gartenfreund aus Reihe eins eine zufriedene erste Etappenbilanz. Möglicherweise, überlegt er, sollte er sich ja nun doch einen eigenen PC anschaffen. Ich krame meine Digitalkamera heraus und schieße ein Gruppenfoto – das sich allerdings später als unterbelichtet erweist. Das Nachbearbeiten des Bildes werde ich dieses eine Mal (!) wohl noch an meinen ganz persönlichen „digitalen Ureinwohner“ delegieren: Hoffentlich kriegt er es noch dazwischen, mein Sohn – seine kleine Schwester hat ihn gebeten, ihr beim Installieren der Lernsoftware zu helfen. Für die Großeltern soll er das neueste Familienfoto ausdrucken. Und die Uroma wartet seit Tagen darauf, dass er ihr einen You-Tube-Clip über das richtige Benutzen des Rollators vorspielt.

(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 29.10.2014; Westfälische Nachrichten, 29.10.2014)