Wie Holzscheite zu Allzweckmessern werden

Wer sich entschließt ein eigenes Messer zu bauen, der sollte nicht nur ein wenig handwerkliches Geschick, sondern auch viel Geduld mitbringen. Fotos (8): Ulrike Havermeyer

Ob Indianer, Wikinger oder Umweltpädagoge: Wer in der Wildnis überleben will, der braucht ein Messer. Auch moderne Teilzeitabenteurer schätzen ein rustikales Schneidwerkzeug, zumal wenn es eigenhändig hergestellt worden ist. Im Messerbau-Workshop des Vereins „Natur unterwegs“ lernen Freunde des partiell einfachen Lebens, wie das funktioniert.

Da liegen sie – die zukünftigen Messerschäfte, individuell und passgenau gestaltet, die Maserungen eindrucksvoll herausgearbeitet, jedes für sich ein kleines Kunstwerk, eine ästhetische Augenweide. Noch sind die wohlgeformten Holzgriffe allerdings nichts mehr als eine Ahnung, eine Idee im Kopf des Betrachters, die sich in dem Sammelsurium aus verschlungenen Ästen, faserigen Scheiten und knorzigem Wurzelwerk verbirgt, das Björg Dewert vom Verein „Natur unterwegs“ aus ihrem ganz persönlichen Holzmuseum zusammengesucht hat.

Wacholder oder Hainbuche, das ist hier die Frage… Frank (links) und Bernd beratschlagen sich. Foto: Ulrike Havermeyer

„Da ist Eibe dabei, Obstbaum, finnischer Wacholder“, zählt Dewert auf und streicht sanft über die ruppigen Borken, „Rose, Hainbuche, Robinie…“ Workshop-Leiter Bernd Leusmann, Wildnispädagoge aus Halle, betrachtet zufriedenen den gut sortierten Stapel, der die Aufmerksamkeit der Teilnehmer – sieben Männer und drei Frauen – sogleich auf sich zieht: Ob Tischler, Biologin oder Heilerziehungspfleger, Student oder Outdoor-Freund, sie alle haben viel übrig für die Natur und wissen, dass der direkteste Weg zu ihr über die sinnliche Wahrnehmung führt. Was läge da also näher, als sich aus organischem Material wie Holz in rechtschaffener Handarbeit ein Allzweckmesser – vielleicht das ursprünglichste aller Werkzeuge – zu sägen, zu raspeln, zu feilen und zu schleifen? „Außer einem Stück Holz und einer soliden Klinge braucht man vor allem eines, wenn man sich ein gutes Messer bauen will“, erklärt Leusmann und lächelt: „Jede Menge Geduld.“

Langsam aber sich raspelt Frank sich einen handlichen Rohling zurecht.

Kein Wunder also, dass Initiatorin Björg Dewert gleich drei Tage für den Workshop im Seester Lernstandort „Ins Freie“ veranschlagt hat, um ihren Gästen die nötige Muße einzuräumen. Gilt es doch zunächst, die Alltagshektik abzustreifen, in die Gemeinschaft einzutauchen, zur Ruhe zu kommen und die eigenen kreativen Geister wachzukitzeln. Was in dem idyllischen Ambiente des am Rande des Natur- und Vogelschutzgebietes Düsterdieker Niederung gelegenen Lernstandortes nicht schwerfällt. Nachdem Bernd Leusmann seinen Schülern das nötige Basiswissen vermittelt hat, fallen denn auch schnell die ersten Entscheidungen: Maike und Björg wollen die Astgabel eines markant gefärbten Obstgehölzes untereinander aufteilen, Norbert wählt die Eibe, Marius und Frank können dem herben Duft des finnischen Wacholders nicht widerstehen, Grigori findet die Robinie am schönsten, Thomas den handgelenkdicken Zweig eines Rosestrauchs, Georg und Claudia favorisieren einen Scheit aus Pflaumenholz. Kalle hat sich bereits im Vorfeld gegen Holz und stattdessen für den abgeworfenen Gehörnspieß eines Rehbocks entschieden. Auch ein Stück Natur.

Auch der Gehörnspieß von Kalle liegt nach eingehender Bearbeitung gut in der Hand.

Während die anderen zum Beil oder zur Säge greifen, ihre Hölzer mit Raspeln, Feilen und Hohleisen bearbeiten, um langsam aber sicher grobe Klötze in handlichen Rohlinge zu verwandeln, ist Kalle schon damit beschäftigt, einen dünnen Spalt in seinen Gehörnspieß zu bohren, in den später die Ahle – das hintere Ende der Klinge – versenkt und eingeklebt wird. Dieses Ziel, spornt Leusmann die Gruppe an, sollte am ersten Abend möglichst jeder Teilnehmer erreicht haben, denn der Spezialkleber aus Epoxydharz müsse mehrere Stunden trocknen, damit das künftige Messer die nötige Stabilität gewinne. Zwischen Holzrohling und Stahlklinge wird als sauberer Abschluss außerdem noch eine filigrane Scheibe aus Rentierhorn, Rinder- oder Elchknochen eingefügt, die idealerweise millimetergenau angefertigt werden muss.

Was macht ein Elchknochen im Messerbau-Workshop?

Und auch wenn hier oder da ein verrutschtes Bohrloch, ein unerwarteter Riss im Holz oder der überraschend in der Tiefe auftretende Gang eines Holzwurms die zunächst geplante Griffform vereitelt und – nach der Überwindung des anfänglichen Frustes – zum Improvisieren zwingt und zur Zuversicht gemahnt: Am Ende des ersten Tages halten alle Teilnehmer mit sichtlichem Stolz die Früchte ihres Einsatzes in den Händen: Noch nicht reif zwar, aber das Versprechen auf eine Weiterentwickelbarkeit in sich tragend…

Geschafft: Frank hat das erste Etappenziel – die Fertigstellung des Rohlings – erreicht.

Der zweite Tag steht dann ganz im Zeichen der Feinarbeit und der eigenen Vorstellungen: Der eine mag es lieber minimalistisch, die andere detailfreudig und opulent verziert. Nach der groben Raspel steht nun für die meisten ein Potpourri aus feinen und noch feineren Feilen sowie Schmiergelpapier im Zentrum ihrer Mühen. Um das Holz zu imprägnieren und die Maserung zu betonen, werden die fertig geformten Messergriffe noch mehrmals mit einer Mischung aus Lein- und Mandelöl eingerieben.

Frank schneidet sich mit seinem Werkzeug eine Lederhülle für sein Werkzeug.

Zum Finale des Workshops kommen dann die Messer, gerade erst fertig gestellt, auch schon zum Einsatz: Aus Leder schneiden sich die Teilnehmer eine derbe Hülle für ihre schmucken Werkzeuge. Individuell geformt und genäht lässt sich die Lederscheide später am Gürtel befestigen, sodass das Messer fortan bei künftigen Ausflügen in die Natur stets griffbereit ist.

Marius (links) und Thomas präsentieren recht unterschiedliche Messer-Varianten.

(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung vom 06. November 2019)