Selbst schuld? Immer mehr Chöre werfen das Handtuch

Bloß nicht starr dastehen wie die Besenstiele. Die Musik sollte durch den gesamten Chor „wellen“, nur so könne die Begeisterung auch auf das Publikum überschwappen, ermutigt Claudia Rübben-Laux (am E-Piano) die Sänger zu mehr Körpereinsatz. Fotos (2): Ulrike Havermeyer

Musikalische Leidenschaft führt manchmal zu verwegenen Entscheidungen: Während immer mehr Gesangvereine darüber nachdenken, das Handtuch zu werfen, hat der Lotteraner Gotthard Helmich, begeisterter Akkordeonspieler und ausgebildeter Dirigent, im Sommer 2018 den Chor „Shanty und mehr“ gegründet. Seitdem ist auch er unermüdlich auf der Suche nach personeller Verstärkung, bisher allerdings ohne durchschlagenden Erfolg. Aber so schnell gibt Helmich nicht auf.

Mit dem Seminar „Mitgliederwerbung für Chöre“ bietet der Sängerkreis Nordwestfalen Unterstützung für bedrohte Sangesgemeinschaften an. Unter den knapp drei Dutzend Teilnehmern im Bürgerhof Schotthock in Rheine singen, rätseln und diskutieren auch Gotthard Helmich, seine Frau Hannelore sowie ihre Freundin Doris Tebbe – und damit nicht weniger als der ganze halbe Shantychor aus Lotte – eifrig mit. Die selbstauferlegte Mission des wackeren Trios heißt: Zukunftssicherung.

Seit mehr als 15 Jahren sucht und findet Fernseh-Deutschland nun schon den Superstar. Zum 2011 in Münster erfundenen Rudelsingen treffen sich mittlerweile bundesweit gutgelaunte Sangesamateure in ausverkauften Sälen und Fußballstadien. Das geträllerte Wort boomt – doch trotz aller Lust am Musizieren gelingt es vielen Chören und Gesangvereinen nicht, neue Mitglieder an sich zu binden. „Wie schaffen wir es diese Menschen, die merken wie toll Singen ist, in unsere Chöre zu holen?“, sucht Seminarleiterin Claudia Rübben-Laux gemeinsam mit den Vertretern der regionalen Laienchöre nach Lösungen für das Dilemma.

„Immer dieselbe antiquierte Pampe…“

Versteinerte Mienen, die sich beim Auftritt hinter dicken Notenmappen verschanzen. Eine stocksteife Körperhaltung, als hätte man einen Besenstiel verschluckt. Und das Repertoire? „Immer dieselbe antiquierte Pampe…“ Einige Sangesgemeinschaften, da nimmt die Landeschorleiterin NRW kein Blatt vor den Mund, seien selbst schuld an ihrem Niedergang: „Schluffiges Auftreten, grottiges Programm und schlechte Qualität – viele Chöre haben viel zu spät erkannt, dass sie sich um den Nachwuchs kümmern und aktiv bemühen müssen“, kritisiert Rübben-Laux, „und etliche von denen stehen jetzt an der Gruft.“ In den vergangenen zehn Jahren habe der Chorverband NRW etwa 500 Männerchöre verloren. Derzeit sind noch rund 3500 Männer-, Frauen- und gemischte Chöre im Verband organisiert.

Und weil „über Musik zu sprechen wie ein erzähltes Mittagessen ist“, lotst Rübben-Laux erstmal die Hälfte der Teilnehmer als improvisierten Chor auf die Bühne: „Stellt euch mal auf – und seht euch an“, fordert sie die leicht verunsichert wirkende Truppe auf: „Freut ihr euch auf euren Auftritt?“ An den Gesichtern ablesen lässt sich dieses potenzielle Vergnügen zumindest nicht… Singen, das sei eine Form der Kommunikation mit dem Publikum, gibt die Leverkusenerin zu bedenken: „Wir haben es in unserer Stimme, in unseren Blicken und in unserem Körper, die Leute anzusprechen. Stichwort: Begeisterung!“

Lasst das Publikum eure Begeisterung spüren! Claudia Rübben-Laux in Aktion.

Schon das Einmarschieren des Chores auf die Bühne kann mit einem Lied aufgelockert werden, regt die studierte Musikwissenschaftlerin an. Besonders geeignet seien dafür Stücke, bei denen die Zuhörer mitsingen können, eventuell im Kanon. Falls Notenmappen benutzt werden, sollten diese möglichst unauffällig und immer auf der von den Zuschauern abgewandten Seite getragen werden. In der oft uniformierten Kleidung müsse sich jedes Mitglied wohlfühlen, andernfalls sollte die Garderobe variiert werden. Die Blicke der Sänger sollten zum Publikum gerichtet sein und signalisieren, dass die Sänger ihre Zuhörer wahrnehmen. Und wenn die Körpersprache dann auch noch die Freude an der Musik unterstreicht und die Qualität der Darbietung stimmt – dann sind das gleich mehrere Schritte in die richtige Richtung.

„Die Zuschauer müssen merken, dass es jetzt eigentlich viel schöner wäre, da oben im Chor mitzusingen, als hier unten im Publikum zu sitzen“, bringt Rübben-Laux das Ziel auf den Punkt und greift in die Tasten ihres E-Pianos. Auf der Bühne swingen Gotthard und Hannelore Helmich und Doris Tebbe inmitten der anderen Sänger unbeschwert vor sich hin, strahlen in die Menge und vermitteln richtig Lust darauf, es ihnen gleich zu tun. Na, wenn das die Lotteraner sehen könnten…

Die perfekte Schnupperstunde

„Wo immer sich ein Chor präsentiert“ – ob im Dom oder in der Kindertagesstätte, als Flashmob oder auf dem Wochenmarkt – „er muss sich immer gut präsentieren“, mahnt Rübben-Laux. Sowohl was die Ausstrahlung als auch was die Professionalität seiner Leistung angehe – nichts sei peinlicher, als peinlich zu sein… Aber dafür seien schließlich die Proben da und ein kompetenter Chorleiter zuständig. A propos Proben: Was tun, wenn dann doch mal ein interessierter Besucher zu einer Schnupperstunde hereinschneit? „Diese Leute dürft ihr euch nicht vergraulen!“, rät die Seminarleiterin zu einer durchdachten Vorbereitung: Den Gast günstig zwischen erfahrene Chormitglieder platzieren, ihn keinesfalls ausgrenzen, sondern ansprechen und ermuntern – und falls den möglichen Neuzugang die Verbindlichkeit des wöchentlichen Übens abschrecke, „reicht es ja auch, wenn er zunächst nur einmal im Monat kommt“, sagt Rübben-Laux. „Wir Chöre müssen ohnehin lernen, auch reduzierter fröhlich zu sein“, nimmt sie die Zukunft mit einem Augenzwinkern in den Blick.

Der Sängerkreis Nordwestfalen bietet im Frühjahr 2020 ein Seminar zum Anlegen einer Homepage speziell für Laienchöre an. Der genaue Termin wird noch auf www.sk-nw.info bekannt gegeben.

(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 25. September 2019)