Leichtigkeit auf vier Hufen – freiwillig und ohne Druck

Fühlen sich wohl in der ruhigen Weitläufigkeit des ehemaligen Schultenhofes: Jochen Moors, Cornelia Siemes und ihr Hengst Pichon. Fotos (5): Ulrike Havermeyer

Seit Cornelia Siemes und Jochen Moors vor drei Monaten mit ihrem Zentrum für klassische Reitkunst NRW in den ehemaligen Schultenhof eingezogen sind, hat sich auf der Reitanlage am Ortsrand von Lotte nicht nur baulich Einiges verändert. Über das weitläufige Gelände weht ein Hauch von Lieblingsplatz.

Hohe Räume, gute Luft, ländliches Ambiente und vor allem: Ruhe. „Dieser schöne Hof erfüllt sämtliche Voraussetzungen, die uns wichtig sind“, freut sich Cornelia Siemes. Sie und ihr Lebensgefährte Jochen Moors waren schon länger auf der Suche nach einer Reitanlage, auf der sie ihren Traum verwirklichen können: Reitern und Pferden die klassische Reitkunst nahebringen. Für die beiden Pferdeenthusiasten vom Niederrhein ist der Siemeshof, wie sie das Anwesen getauft haben, ihr erster eigener Betrieb. Eine inspirierende, aber zugleich auch arbeitsintenive Mischung aus Landwirtschaft und Künstlerwerkstatt.

Denn Reiten nach den Grundsätzen der klassischen Reitkunst, geprägt von spielerischer Leichtigkeit, gegenseitigem Respekt, viel Einfühlungsvermögen und noch mehr Geduld – das sei tatsächlich nichts Geringeres als eine Kunst, beschreibt die 38-jährige Ausbilderin ihr Handwerk. Sie selbst hat es bei der renommierten Trainerin Anja Beran in Bayern gelernt. Besonders in schnelllebigen Zeiten wie diesen, in denen es in der Pferdesportbranche oft nur darum gehe, „in möglichst kurzer Zeit möglichst viele Preise zu gewinnen“, ist die Chance behutsam und in einem individuell verträglichen Tempo heranreifen zu dürfen, selten geworden und ein nicht zu unterschätzendes Gut. Sowohl für das Tier, wie auch für den Reiter.

Auch Grand-Prix-Siegerin Heidi Egbert nutzt die Tipps von Cornelia Siemes, um sich und ihr Pferd weiterzuentwickeln.

Während mancher Vierbeiner schon im zarten Alter von drei Jahren die ersten Prüfungen absolviert und damit nach Ansicht der Neu-Lotteranerin viel zu früh dem Druck einer Turniersituation ausgesetzt wird, legt Siemes bei der Ausbildung der ihr anvertrauten Tiere Wert auf Muße und eine komplett stressfreie Atmosphäre. Das erklärte Ausbildungsziel der klassischen Reitkunst lautet denn auch: Gesunderhaltung und Leichtigkeit bis ins hohe Alter. Wobei die Könnerschaft nicht darin besteht, dass der gemeinsame „Tanz“ von Reiter und Pferd dem Betrachter leicht ERSCHEINT, sondern dass er auch tatsächlich leicht IST.

Während sich also Cornelia Siemes den vierbeinigen Schülern und Gästen auf Zeit sowie deren zweibeinigen Begleitern widmet, kümmert sich Jochen Moors um den betrieblichen und landwirtschaftlichen Zweig des Siemeshofes. Denn wer ein gesundes und ausgeglichenes Pferd will, der muss für tiergerechte Haltungsbedingungen sorgen. „Unser Heu ernten wir von unseren eigenen Wiesen – und was wir sonst noch brauchen, kaufen wir von regionalen Betrieben zu.“ Außerdem, betont der ausgebildete Personenschützer und passionierte Jagdreiter, würden die Tiere mehrmals am Tag gefüttert und die Boxen bis auf sonntags täglich gemistet. Die Stallungen des Siemeshofes bieten Platz für 40 Pferde.

 

Viel Geduld und Einfühlungsvermögen braucht es, um Reiter und Pferd Möglichkeiten zur Weiterentwicklung zu eröffnen.

Ausritte in die Umgebung oder eine flotte Runde auf der hauseigenen Galoppbahn sorgen zudem für ein abwechslungsreiches Tagesprogramm. „Wir teilen die Pferde in kleine Herdenverbände ein, die täglich miteinander auf die Weide gehen“, erläutert Moors das Konzept, den Tieren überdies auch ein ausgeprägtes Sozialverhalten zu ermöglichen. Wobei sowohl Reit- als auch Zuchttiere, Stuten mit oder ohne Fohlen sowie Hengste und Wallache integriert werden. Ihr Gnadenbrot können betagte Vierbeiner ebenfalls bei Jochen Moors und Cornelia Siemes bekommen.

Inzwischen ist Heidi Egbert aus Ibbenbüren eingetroffen. Einmal in der Woche trainiert die erfolgreiche Grand-Prix-Reiterin bei Cornelia Siemes, damit sie und ihre Stute sich noch sensibler und präziser aufeinander einstimmen. Egbert ist nicht die einzige Turnierreiterin, die die geduldige Herangehensweise der klassischen Reitkunst zu schätzen weiß und sie zur effektiven Weiterentwicklung der eigenen Fähigkeiten und der ihres Vierbeiners nutzt. „Das freut mich immer wieder ganz besonders, wenn auch Turnierreiter zu mir kommen, die interessiert daran sind, neue Wege zu gehen“, sagt Siemes, die früher auch selbst Erfahrungen in Wettkämpfen gesammelt hat. „Ich finde es völlig in Ordnung, wenn Reiter sich untereinander messen wollen“, sagt sie – nur solle man sich nicht vom sportlichen Erfolg abhängig machen und den eigenen Ehrgeiz auf dem Rücken seines Pferdes austragen.

So ist’s brav! Fürs willige Mitmachen bekommt der Vierbeiner ein Apfel-Leckerli von Cornelia Siemes. Reiterin Heidi Egbert genügt die Bestätigung, die Lektion korrekt ausgeführt zu haben.

Rund zehn Jahre dauere es, bis die gegenseitige Verständigung zwischen Zwei- und Vierbeiner ausgereift und das Pferde so gymnastiziert sei und die richtigen Muskeln aufgebaut habe, dass es den Menschen sicher tragen, die Lektionen mühelos ausführen und als „fertig ausgebildet“ gelten könne. Allerdings: „Auslernen tut man ja eigentlich nie, vor allem nicht als Reiter“, gibt Siemes mit einem vielsagenden Schmunzeln zu bedenken und wirft ihrem PRE (Pura Raza Espanola)-Hengst Pichon, der neben ihr auf der Stallgasse steht, einen liebevollen Blick zu. Der zwölfjährige Braune spitzt aufmerksam seine Ohren, wendet sich entspannt seiner Besitzerin zu und lehnt ganz zart seinen Kopf gegen ihre Schulter. Spiegelbilder. „Vielleicht ist das die eigentliche Kunst“, sinniert Siemes, „das Pferd so auf seine Seite zu ziehen, dass es das, worum wir es bitten, auch wirklich gerne macht.“

Wer mehr über den Siemeshof in Alt-Lotte und die klassische Reitkunst erfahren möchte, findet weitere Informationen im Internet auf www.siemeshof.de.

Die Bodenarbeit ist ein wichtiger Bestandteil der klassischen Reitkunst. Hier bringt Heidi Egbert ihrer Stute den Spanischen Schritt bei.

(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 10.07.2019)