Vierzig Jahre Hyde Park – Conny und ihr wildes Kind

Conny Overbeck. Foto: Oliver Pracht
Conny Overbeck. Foto: Oliver Pracht

Soloauftritt einer Grande Dame: Irgendwo, in einer der vielen schummrigen Nischen zwischen Bühne und Bar, fällt geräuschvoll eine Tür ins Schloss. Das Echo sachter Schritte hallt in den Kulissen. Durch die Dachfenster rieselt ungewohntes Tageslicht auf die Tanzfläche. Keine Musik, keine Gäste – die völlige Abwesenheit von Party.

Verdächtig friedlich gibt sich der Hyde Park, Osnabrücks aufmüpfige Kultdisco, zu dieser Stunde. Als sei nie auch nur eine Schlagzeile über seinen ausgeprägten Hang zum Non-Konformismus bekannt geworden, und als hätte er auf den Besuch seiner Ziehmutter Conny Overbeck schon geduldig gewartet. So ganz traut die hoch gewachsene 62-Jährige dem Braten denn auch nicht, als sie – die Hände tief in die Taschen ihrer Jacke gestopft, das hölzerne Rondell durchquert.

Ein wildes Kind

40 Jahre ist es nun schon alt, ihr wildes Kind. Und noch immer hält der ewig pubertierende „progressive Musikladen“ seine Erfinderin, Inhaberin und Fürsorgerin in Atem. Die Bilanz der vergangenen Nacht: Die komplette Deckenbeleuchtung ist durchgebrannt. Und das Türschloss für den Backstage Bereich hat auch etwas gelitten. „Bis heute Abend müssen wir das wieder hinkriegen“, mahnt Mitarbeiter Simon Schlautmann seine Chefin. Conny Overbeck seufzt, nickt und zündet sich erst mal eine Zigarette an. „Ich kümmere mich drum“, sagt sie mit ihrer rauen Stimme. Inhaliert den Rauch, lässt ihren Blick in die Runde schweifen – und lächelt still. „Seit Juni 1976 mache ich das jetzt“, sinniert sie. Etwas ungläubig. Etwas erschöpft. Aber sichtlich zufrieden.

Liebe Grüße von Oma

Hat noch Spaß am Rock'n'Roll: Conny Overbeck. Foto: Oliver Pracht
Hat noch Spaß am Rock’n’Roll: Conny Overbeck. Foto: Oliver Pracht

„Manchmal, wenn ich sporadisch nachts herkomme und eine Runde drehe“, erzählt sie, „sprechen mich junge Gäste an: ‚Sind Sie die Conny?‘, fragen die dann: ‚Ich soll Sie ganz lieb von meiner Oma grüßen – die ist früher auch immer in den Park gegangen‘“. In Conny Overbecks Lächeln mischt sich unverhohlene Wehmut. Total nett finde sie solche Begegnungen, beteuert sie. Aber: An den Kindern merkt man eben auch, dass man älter wird. „Die besten Zeiten für mich – das waren die Anfänge im Schweizerhaus an der Rheiner Landstraße, als ich noch jung war.“ Sie nickt, schließt die Augen und drückt auf die geistige Rückspultaste: „Natürlich auch das Zirkuszelt mit dieser einmaligen Atmosphäre. Die Konzerte mit den Dead Kennedys und Black Flag, mit Canned Heat oder Eric Burdon.“ Wirklich stolz ist sie darauf, dass immer alle rein gekommen sind, in ihren Park: „Ob einer Turnschuhe getragen hat oder Stiefel – wir haben hier nie sortiert“, sagt sie, „und es hat immer gepasst. So ist das auch heute noch. Hauptsache, keiner macht Theater.“

Rin Tin Tin und Basketball

Aufgewachsen ist Conny Overbeck im Stadtteil Sonnenhügel. „Ich habe mit meinen Freunden Räuber und Gendarmen gespielt“, erinnert sie sich an eine idyllische Kleinstadtkindheit. Im Fernseher liefen Rin Tin Tin, Fury und die Mädels vom Immenhof. Conny, die 1,80 Meter Große, spielte Basketball beim Post SV. Gab es damals schon eine Nähe zur Musik? Conny Overbeck schüttelt den Kopf: „Nicht wirklich, allerdings: Blockflöte habe ich gespielt.“ Und natürlich Lieder aus der Mundorgel gesungen: „An der kam damals ja keiner vorbei.“ Wieder dieses tiefe Lachen. Nach dem Abi und einem kurzen Zwischenspiel in Wuppertal hat sie sich für den Studiengang der Betriebswirtschaft an der Fachhochschule in ihrer Heimatstadt Osnabrück eingeschrieben. „Meine Freundin und ich waren damals fast die einzigen Frauen unter 1500 Elektrotechnikern und Maschinenbauern: Wir brauchten uns bloß aufstellen zu lassen und waren sofort in den AStA und das Studentenparlament gewählt.“ Conny und ihre Clique organisierten Studentenpartys, kellnerten auch im Umland, knüpften Kontakte, machten sich bald in der Branche einen Namen – und fanden mehr und mehr Gefallen an dem Gedanken, eine für Osnabrück längst fällige alternative Partyszene aufzubauen. Im Sommer 2016 jährt sich die Geburt dieser Alternative zum 40sten Mal.

Genug mit dem Rock’n’Roll?

Im Jahr 2020 läuft der Pachtvertra... Foto: Ulrike Havermeyer
Der aktuelle Standort am Piesperg ist bereits die dritte Adresse des Hyde Parks. Begonnen hat 1976 alles im Schweizer Haus an der Rheiner Landstraße. Foto: Ulrike Havermeyer

2020 läuft der Pachtvertrag mit der Stadt Osnabrück für das Gelände am Piesberg aus: der mittlerweile dritten Adresse ihres nicht ganz grundlos als konsequentem Nachbarschaftsschreck berüchtigten Zöglings. Bis dahin will sie weitermachen. Und danach? „Mal sehen, ob’s dann genug mit dem Rock’n’Roll gewesen ist“, raunt sie mit nachdenklichem Timbre, bläst den Rauch ihrer Zigarette in die Arena – und es scheint, als schaue sie dem Hyde Park bei dieser Aussage unverblümt ins Gesicht: gelassen und herausfordernd zugleich. Dann lässt sie das Feuerzeug und die Schachtel mit den Zigaretten in die Jackentasche gleiten und verabschiedet sich. Sie muss jetzt los: in den Baumarkt – ein neues Türschloss besorgen.

(Erschienen in: Blog der Stadtwerke Osnabrück, 05.04.2016)