Ökologisches Bettenmachen für die Düsterdieker Aa

Noch wirkt das neue Bett der Aa eher karg, aber sobald sich die ersten Pflanzen angesiedelt haben, hält hier hoffentlich bunte Vielfalt Einzug. Fotos (5): Ulrike Havermeyer

Auch ein unscheinbares Fließgewässer wie die Düsterdieker Aa lebt – und stellt, wenn es als funktionierendes Ökosystem langfristig intakt bleiben soll, Ansprüche an seine Umgebung. Diese wurden bisher jedoch kaum erfüllt.

Wie sich eine menschengemachte Ödnis langsam aber sicher in einen naturnahen Lieblingsplatz zurückverwandelt, können aufmerksame Beobachter in den kommenden Jahren in der Düsterdieker Niederung verfolgen. Dort wird die Aa, ein flurbegradigter Entwässerungsgraben, aus ihrem starren Korsett befreit und anschließend weitestmöglich sich selbst überlassen. Nicht in der Gänze ihres etwa zehn Kilometer langen Laufs, aber immerhin auf einem Abschnitt von gut 500 Metern. Fast meint man, das kleine Gewässer schon jetzt wohlig aufatmen zu hören.

Der Natur auf die Finger geschaut

Frank Lampe, Mitarbeiter der Baufirma Büscher, hat sich mit seinem Bagger gut gelaunt vom Acker gemacht. Und das, obwohl das renaturierte Bett für die Düsterdieker Aa noch gar nicht vollständig fertiggestellt und einzugsbereit ist. Doch nun gehört die Bühne auf den feuchten Wiesen erst einmal wieder den Kiebitzen, den Großen Brachvögeln, den Schwarzkehlchen. „Wir befinden uns hier mitten im Vogelschutzgebiet“, erläutert Petra Berghegger von der Unteren Wasserbehörde des Kreises Steinfurt, „und da ist während der Brutzeit ab Ende Februar strikte Ruhe angesagt.“ Erst im August, wenn der gefiederte Nachwuchs flügge geworden ist, darf Lampe weiterbuddeln.

Frank Lampe hat auf seinem Bagger reichlich Gelegenheit, das Geschehen in der Düsterdieker Niedreung zu beobachten. Oft sieht er, wie die Rehe durchs Gelände ziehen.

Doch was Projektleiterin Berghegger und ihr Team hier seit Ende vergangenen Jahres bereits umgestaltet und dadurch – ganz im Sinne der EU-Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) – ökologisch aufgewertet haben, verändert schon jetzt die über Jahrzehnte zur Gewohnheit gewordene, eintönige Kulisse der Böschungen und zieht die Blicke der Betrachter auf sich: Wie durch eine Wattlandschaft schlängelt sich die Aa durch Priele und Rinnsale, seichte Inseln bilden Trockenbereiche, an deren Uferzonen Wurzelstubben und Erlenstämme wie angetrieben drapiert sind – wer das Vorgehen der Natur nachempfinden will, muss das Lineal zur Seite legen!

Sie setzen gemeinsam die EU-Wasserrahmenrichtlinie vor Ort um: Petra Berghegger (von rechts), Jochen Wiehager und Jana Tinscher.

„Wir haben uns bei der Renaturierung des Gewässers am Leitbild eines organisch geprägten Tieflandbaches orientiert“, beschreibt Jana Tinscher vom Ingenieurbüro Wiehager das Planungskonzept. Soll heißen: Wegen der eher langsamen Fließgeschwindigkeit, die natürlicherweise in einem Niederungsgebiet vorherrscht, soll die Aa bald in sanften Mäandern beschaulich durchs Gelände dümpeln. Dabei lagert sich organisches Material wie Totholz, Blätter und sandiges Sediment in den Uferbereichen ab und bietet Kleinstlebewesen einen wertvollen Lebensraum. Der erhoffte Effekt: Der Artenreichtum nimmt zu, die Qualität des Gewässers verbessert sich langfristig.

So wenig wie möglich eingreifen

Was sich auf den Böschungen ansiedelt, bleibt ebenfalls der Natur überlassen. „Sukzession“ nennt Petra Berghegger diesen Prozess und verweist auf die unterschiedlichen Pflanzenarten, die das Biotop schrittweise über die Jahre erobern werden. In enger Absprache mit der Biologischen Station und dem Unterhaltungsverband wolle man „so wenig wie möglich“ in diesen natürlichen Prozess eingreifen. Wobei besonders zwei Knackpunkte die Diplom-Ingenieurin, Fachrichtung Technischer Umweltschutz, zum Spagat zwingen: Zum einen darf die Vegetation nicht zu hoch wachsen, weil die Vögel, die in der Düsterdieker Niederung brüten, auf ein offenes Gelände angewiesen sind. Zum anderen darf sich auch bei starkem Regen das Wasser nicht langfristig aufstauen, damit die Landwirte die – zumeist landeseigenen Flächen – im Sinne des Vertragsnaturschutzes bewirtschaften und als Kulturlandschaft erhalten können.

Dass die Flurbereinigung ein Gewässer veröden lässt, war in den 1970er Jahren offebar noch nicht hinreichend bekannt…

Etwa 15.000 Kubikmeter Boden hat die Crew um Petra Berghegger bisher bewegt, um der Aa eine komfortable neue Bleibe zu schaffen. Der Bach darf sich, sobald die Arbeiten im Herbst abgeschlossen sind, auf gut 50 Meter in der Breite ausdehnen – wobei eine Niedrigwasserrinne dafür sorgt, dass er nicht trocken fällt und die Strömungsverhältnisse stabil bleiben. Außerdem stehen ihm satte 300 Meter mehr an Länge zum kurvigen Dahinplätschern zur Verfügung. Rund 320.000 Euro kostet den Kreis Steinfurt als Bauherrn das „ökologische Bettenmachen“ für die Düsterdieker Aa. Dafür schießt das Land NRW 250.000 Euro aus WRRL-Fördermitteln zu, den Rest zahlt der Kreis selbst. Doch was muss, das muss – wie der Westfale sagt. Schließlich hat sich Deutschland als Mitgliedsstaat der EU verpflichtet, die vor 19 Jahren verabschiedete WRRL umzusetzen und dadurch „die Qualität der Oberflächengewässer und des Grundwassers zu sichern und – wenn nötig – zu verbessern“, wie es auf der Internetseite der Landwirtschaftskammer heißt.

Der erste Abschnitt der Aa ist mittlerweile renaturiert. Im Herbst, wenn die Brutzeit im Vogelschutzgebiet beendet ist, folgt der zweite Teil.

Wenn im August der zweite Abschnitt der Renaturierung in Angriff genommen wird, bekommen Petra Berghegger und ihre Mitstreiter übrigens weitere Helfer. Erlebnispädagogin Björg Dewert vom Verein „Natur unterwegs“ stellt derzeit den Kontakt zur Gesamtschule Lotte-Westerkappeln her, um dann nach den Sommerferien gemeinsam mit den Jugendlichen den neuen Lieblingsplatz der Düsterdieker Aa mitzugestalten und anschließend dessen Entwicklung zu dokumentieren.

(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 06.03.2019)