„Einfach heiß aufs Fahren“

Keine Angst vor großen Frachten: Lothar Nüßemeyer (von links), sein Sohn Tobias und seine Chefs Andreas und Klaus Laumeyer lassen die vergangenen 40 Berufsjahre Revue passieren.
Keine Angst vor großen Frachten: Lothar Nüßemeyer (von links), sein Sohn Tobias und seine Chefs Andreas und Klaus Laumeyer lassen die vergangenen 40 Berufsjahre Revue passieren. Foto: Ulrike Havermeyer

Technisch vom Feinsten. Extrem übersichtlich. Und äußerst komfortabel noch dazu. Ein durchaus spektakulärer Lieblingsplatz bietet sich hinter dem Lenkrad der Mercedes-2648-Zugmaschine. Mit jeder Menge Potenzial für motorisierte Glanzleistungen. Allerdings: kein Ort für jedermann. Wer hier Position bezieht, braucht starke Nerven. Eine ruhige Hand. Besonnenheit und Weitblick. Alles das hat Lothar Nüßemeyer. Kein Wunder also, dass der Mann aus Velpe seit 40 Jahren den Sitz im Lkw-Führerhaus der auf Langtransporte und Überbreiten spezialisierten Speditionsfirma Laumeyer seine „zweite Heimat“ nennt. Nüßemeyers bisher längste Fracht: ein Leimbinder von sage und schreibe 63 Metern, den er von Westerkappeln bis nach Emden chauffiert hat.

Jungfernfahrt in Richtung Hamburg

Drei Männer im Schatten des Lkw: Lothar Nüßemeyer und seine beiden Chefs, Klaus und Andreas Laumeyer, haben es sich auf der Zugmaschine bequem gemacht, lassen die Beine baumeln und schwadronieren über die vergangenen vier Jahrzehnte. Wie das 1975 alles angefangen hat? Lothar Nüßemeyer schmunzelt in sich hinein. 21 Jahre musste man auch damals alt sein, um eine Fahrerlaubnis für die gewaltige Zugmaschine zu erhalten. „Ich war so heiß aufs Fahren, dass ich natürlich genau am Tag meines Geburtstags auch schon hinter dem Steuer saß.“ Nicht am Morgen. Nicht am Mittag. Schlag zwölf um Mitternacht habe er den Zündschlüssel herum gedreht und seine Jungfernfahrt Richtung Hamburg angetreten. Amüsiertes Kopfschütteln. „Man muss das einfach im Blut haben“, sagt Klaus Laumeyer, „in dieser Branche ist jede Fahrt eine Herausforderung.“ Denn egal, ob Lothar Nüßemeyer nun Leimbinder, Stahlelemente oder Baumaschinen von A nach B transportiert – in der Regel sprengt er mit jeder Tour die Dimensionen des Alltäglichen. „Gefahren wird deshalb nachts in der verkehrsarmen Zeit zwischen 22 und 6 Uhr“, erklärt Klaus Laumeyer. Oft begleiten externe Spezialfahrzeuge das Gespann, um die Strecke zu sichern. Manchmal ist auch die Polizei mit dabei. Maximal 50 Tonnen Zuladung, bis zu 78 Tonnen Gesamtgewicht manövriert der 61-Jährige durch enge Kreisverkehre und unter Brücken hindurch – von Westerkappeln aus nach ganz Europa: in Polen und Frankreich ist der gebürtige Velper schon gewesen, in England, Österreich und der Schweiz. Hellwach und hoch konzentriert. Den Blick abwechselnd auf der Straße und im Rückspiegel. Millimeterarbeit. In den 1990er Jahren hat er stählerne Bauteile zum Berliner Reichstag und zum Potsdamer Platz gebracht und dabei der Geschichte der Wiedervereinigung ein wenig über die Schulter geschaut. „Das sind die besonderen Momente in diesem Beruf“, sagt er.

Kopfüber in den Entwässerungsgraben

A propos besondere Momente, werfen die Brüder Laumeyer augenzwinkernd ein – wie war das noch in Senden? Nüßemeyer stöhnt gequält auf und winkt ab. Bitte nicht daran erinnert werden müssen… aber dann erzählt er es doch: Wenn er nachts mit sperrigen 30 oder 40 Metern Frachtlänge unterwegs ist, muss er hin und wieder auch einige Verkehrsschilder vorübergehend demontieren, um sich den Weg frei zu machen. In Senden sei er dabei vor einigen Jahren auf ein besonders widerspenstiges Exemplar getroffen: „Beim Schrauben kippte das Ding plötzlich zur Seite weg“, berichtet er seufzend, „und ich landete mitsamt dem Schild kopfüber in einem randvollen Entwässerungsgraben.“ Er lacht laut auf: Geh mir bloß weg mit Senden. Da ist ihm die gegenwärtige Auftragslage schon lieber: Zurzeit liefert die Firma Laumeyer XXL-Konstruktionen für den Flughafen in Oslo aus: Per Fähre geht es ab Kiel bis zur norwegischen Hauptstadt. Mittendrin im Geschehen natürlich auch Lothar Nüßemeyer und seine Zugmaschine. „20 Stunden an Bord – da herrscht schon eine gewisse Kreuzfahrt-Atmosphäre“, hat er festgestellt. „Ganz nett – aber da, wo ich mich wirklich wohl fühle – da muss es einfach brummen.“

(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 22.07.2015; Westfälische Nachrichten, 22.07.2015)