Als im Teutoburger Wald noch die Wellen plätscherten

Ganz schön mühsam ist das Leben eines Hobbyarchäologen – aber es macht viel Spaß: Der siebenjährige Lias hämmert im Kalksteinbruch der Firma Dyckerhoff nach Fossilien. Fotos (5): Ulrike Havermeyer

Die Wanderstiefel sind geschnürt. Der Rucksack gepackt. Das Abenteuer ruft. Von Forschereifer beseelt, folge ich Naturpark-Rangerin Maria Herold auf der Fährte der Fossilien zu den Geheimnissen des Steinbruchs Dyckerhoff bei Lengerich.

Einmal im Monat, jeweils von Mai bis September, bietet die Interessengemeinschaft Teutoburger Wald (IG Teuto) kostenlose Führungen durch den imposanten Steinbruch an, in dessen Tiefen die Firma Dyckerhoff den Kalk für ihre Zementproduktion abbaut. Die Maschinen des Unternehmens fressen sich dabei in Jahrmillionen alte Gesteinsschichten und eröffnen so ein Zeitfenster in die Vergangenheit. Doch am Wochenende ruht der Betrieb, und vor allem junge Familien nutzen die Gelegenheit, um mit dem Nachwuchs auf eine spannende und professionell betreute Schatzsuche zu gehen.

Gewaltige Kulisse: Regelmäßig bietet die IG Teuto Führungen durch die karge Landschaft des Kalksteinbruchs an.

Sicher durch die holperige Naturgeschichte

„Heute sind wir eine eher kleine Gruppe“, kommt Naturpark-Rangerin Maria Herold bei ihrer Zählung auf 59 Teilnehmer, „manchmal führen wir bis zu hundert Personen durch den Steinbruch.“ Damit nichts schief geht und Jung und Alt sicheren Schrittes durch die holperige Naturgeschichte – und vor allem auch unversehrt wieder aus ihr heraus zurück in die Gegenwart – stapfen, wird die Gruppe von mehreren Mitarbeitern der Firma Dyckerhoff begleitet.

Bestens vorbereitete Jungforscher

Die Grabungsstellen sind noch nicht einmal in Sicht, da muss ich mir schon eingestehen, dass ich als Archäologin noch einiges dazuzulernen habe: Während vor mir tatendurstige – und bestens vorbereitete! – Jungforscher, Mädchen und Jungen im Kindergarten- und Grundschulalter, den Rundwanderweg entlang hüpfen und ihre mitgebrachten Eimerchen schwenken, in denen die mitgebrachten Handschuhe, Hämmer und Fahrradhelme rumpeln, befinden sich in meinem Rucksack nur ein Schreibblock, Stifte und der Fotoapparat. An Werkzeug habe ich nicht gedacht.

Nur mit Sicherheitsausrüstung

Doch bevor wir loslegen, ist zum Glück ein Stopp an der kleinen Holzhütte der IG Teuto eingeplant. Maria Herold und ihre Helfer verteilen die noch fehlende Sicherheitsausrüstung – Signalwesten, Schutzhelme und -brillen. Und auch für Hammer und Meißel zum Ausleihen ist gesorgt. Als promovierte Geowissenschaftlerin erläutert die Naturpark-Rangerin außerdem, auf was für eine verheißungsvolle Expedition wir uns sogleich begeben werden – und welchen Wesen wir dabei begegnen. Oder genauer gesagt: Auf welche Spuren jener Geschöpfe wir dabei stoßen könnten.

Mit etwas Glück findet man im Gestein des Dyckerhoff Steinbruchs die fossilen Überreste der Inoceramen, einer längst ausgestorbenen Muschelfamilie aus der Oberkreidezeit.

Ein Seeigel im Fichtenwald?

Denn wer mit offenen Augen durch den kargen Steinbruch kraxelt, der im Bergrücken des Teutoburger Waldes klafft, gerät alsbald ins Staunen: versteinerte Muscheln? Skelette von Seeigeln? Schuppen von Haien? „Wir haben es hier mit Gesteinsschichten zu tun, die aus der Oberkreide stammen“, erklärt uns Maria Herold, „aus einem Zeitraum von etwa 90 bis 100 Millionen Jahren vor Jetzt.“ Damals lag die Stelle, auf der wir gerade stehen, aufgrund der Plattentektonik rund 2000 Kilometer weiter südlich. Und dort, wo sich heute der Teutoburger Wald erhebt, befand sich ein flaches tropisches Meer. „In diesem Gewässer haben viele verschiedene Tierarten gelebt, von deren Überresten wir hoffentlich gleich einige finden werden.“

Manchmal genügt es, die Steine einfach nur umzudrehen…

Los geht es zur ersten von drei Sammelstellen. Aus Sicherheitsgründen machen wir einen gepflegten Bogen um sämtliche Steilkanten, Steilbrüche und Steilwände, von denen es im Dyckerhoffschen Steinbruch reichlich gibt. Stattdessen lotst uns die Rangerin und ihr Team auf weiß gekalkten Zufahrtstraßen durch eine schroff-bizarre Landschaft zu einer Sohle, auf der die Fahrzeuge des Unternehmens Fuhren von losem Gestein abgekippt haben.

„Einfach mal umdrehen…“

„Oft genügt es schon, die Steine einfach mal umzudrehen“, rät die Geowissenschaftlerin. Aber viel mehr Spaß macht es doch einfach, mit dem Hammer munter drauflos zu klopfen. Neben mir hat der siebenjährige Lias bereits ein hübsches Fossil freigelegt: „Eine Muschel!“, freut er sich und übergibt den Fund stolz seiner Mutter, die ihn in ihrem Tragebeutel verstaut. Auch ich entdecke ein kunstvoll gebautes Tier: eine filigrane Spinne. Aber die lebt noch – und verschwindet blitzschnell in einem Spalt zwischen den Kalksteinbrocken.

Das Geklopfe von 59 Hämmern

Was für ein Fossil der siebenjährige Lias da gerade im Steinbruch der Firma Dyckerhoff gefunden hat, erklärt ihm Geowissenschaftlerin Maria Herold.

Mühsam ist das Dasein des Archäologen. Doch unermüdlich ist sein Ehrgeiz! Beharrlich klingt das Geklopfe von 59 Hämmern durch den Steinbruch. Stunde um Stunde. Zwischendurch wiederholt Maria Herold mit unverkennbarem Amüsement, dass es wirklich oft schon genüge, so einen Stein einfach mal umzudrehen, um Erfolg zu haben. Aber was ein echter Forscher ist, der will das Abenteuer eben auch hautnah erleben und in den eigenen Händen spüren – je kräftiger, desto lieber…

Generationenübergreifende Solidarität

Während sich Eimerchen und Tragebeutel füllen und Väter und Mütter, mal meißelnd, mal schleppend, zunehmend ins Schwitzen geraten, zeigen die Kinder und Jugendlichen eine beeindruckende Ausdauer. Auch Lias hat sein Gräberglück nicht verlassen – er hält mir ein „Spurenfossil“, den versteinerten Gang eines Wurms, entgegen. „Hast du immer noch nichts gefunden?“, fragt er und sieht mich teilnahmsvoll an. Als ich achselzuckend verneine, drückt er mir kurzerhand eine seiner versteinerten Muschel in die Hand: „Die ist für dich.“ Das Fossil, das ich gerührt auf meinem Schreibtisch platziert habe, erinnert mich von nun an allerdings weniger an den Artenreichtum der Oberkreide, als vielmehr an die generationenübergreifende Solidarität unter uns wackeren Hobbyarchäologen.

Infos und Termine

Wer Interesse an einer Führung durch den Dyckerhoffschen Steinbruch hat, findet die Termine unter www.ig-Teuto.de. Maria Herold weist darauf hin, dass Kindergärten, Schulen, Studenten, Vereine, Betriebe und andere Gruppen auf Anfrage zusätzliche Termine, auch zu speziellen Themen, vereinbaren können.

(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung: 23.05.2018)