Wenn ödes Grau sich in bunte Kunst verwandelt

Eine stimmungsvolle Winterlandschaft ziert den einstmals tristen Stromkasten, den Mahmoud mit viel Liebe zum Detail gestaltet hat. Fotos (6): Ulrike Havermeyer

Ödes Grau wird zu einem pinken Flamingo. Triste Monotonie zum schillernden Nordlicht. Begleitet von zwei Profi-Airbrushern sorgen 17 Kids vom Jugendzentrum Bansen dafür, dass Lotte ein bisschen bunter wird. Auch ich darf etwas Farbe in den Ortskern nebeln.

Von wegen, einfach die Sprühdose rausgeholt und achtlos irgendein Ärgernis in den öffentlichen Raum geschmuddelt. Wenn Graffiti-Malerei nicht zu einem illegalen Akt, sondern zum Hingucker werden soll, zu bestaunenswerter Straßenkunst, dann muss sie gut vorbereitet und noch besser ausgeführt werden. Damit das gelingt, haben Ulla Tschauder und ihre Kollegin Bianca Feist vom Jugendzentrum Bansen zwei erfahrene Profi-Sprayer für ihren Kreativ-Workshop engagiert.

Noch ist die Silhouette der Sehenswürdigkeiten, die Sarah akribisch genau per Hand aus der Pappe gezaubert hat, nur als helle Schablone zu erkennen. Benjamin Siems assistiert beim Befestigen.

Reizvolle Optik gestalten

Mit allerlei Equipment – vom mobilen Allwetter-Pavillon bis zur kompressorbetriebenen Airbrush-Pistole, von einer wahren Lichtorgel aus blechernen Farbflaschen bis hin zu etlichen Lagen großflächig bemessener Abdeckfolie – sind Benjamin Siems und Marco Altrogge vom Team 2lefthands aus Coesfeld nach Alt-Lotte angereist. Ihre Mission: Gemeinsam wollen sie mit den Jugendlichen aus Lotte und Westerkappeln an drei Tagen insgesamt sieben Stromkästen im Ortskern farblich umgestalten. Oder besser gesagt: den blassen, nichtssagenden Quadern überhaupt erstmalig zu einer reizvollen Optik verhelfen.

Fleckige Hemden und gelbe Finger

Als ich am zweiten Tag des Projekts dazu stoße, sind die Arbeiten bereits in vollem Gange: Über die Bürgersteige des Dorfkerns – zwischen Haus Hehwerth und Spielplatz, Feuerwehrhaus und Kinderland Familienzentrum – wuseln geschäftig junge Lotteraner in fleckigen Hemden, bunt verschmierten Hosen und mit knallblauen, quietschgelben oder pechschwarzen Fingern. Alles klar – hier bin ich richtig. Benjamin Siems und sein Kollege Marco Altrogge flitzen, die Hände zumeist voller Spraydosen, von Stromkasten zu Stromkasten – die allesamt im fußläufigen Bereich des Bansen liegen – um hier ein bisschen zu assistieren, da ein bisschen Hilfestellung zu geben, oder einfach nur, um wohlwollend die Werke der Jugendlichen zu betrachten.

Dalal hat auf ihrem Stromkasten einen coolen Flamingo verewigt. Doch vorher musste sie lernen, mit der Spraydose umzugehen.

„Eine sehr kreative Gruppe“

„Zu Beginn so eines Workshops bringen wir immer eine Auswahl an Motiv-Vorlagen und Schablonen für die Teilnehmer mit“, berichtet Benjamin Siems, „aber die Jugendlichen hier in Lotte hatten sich schon vorher genau überlegt, wie sie ihre Kästen gestalten wollten“, lobt er, „eine sehr kreative Gruppe – da konnten wir gleich loslegen.“ Zumal auch die Stromkästen bereits geschrubbt waren, das Moos und die Algenteppiche abgekratzt, die Werbeaufkleber entfernt. Die Oberflächen der Kästen wurden anschließend noch mit der Hand abgeschliffen, mit Glasreiniger gesäubert und einer Kunststoff-Grundierung versehen. Und – ganz wichtig: „Die Gemeinde Lotte und die Stadtwerke Tecklenburger Land hatten auf unsere Anfrage hin die Kästen offiziell zum Bemalen freigegeben“, betont Ulla Tschauder. Die Finanzierung über den Kulturrucksack NRW und die Unterstützung durch die Volksbank Steinfurt krönt das Projekt „Graffiti Workshop: Stromkästen kreativ gestalten“ mit dem Ritterschlag der institutionalisierten Seriosität.

„Retten, Löschen, Bergen, Schützen“

Mit viel Fingerspitzengefühl friemelt Niklas die Klebefolie, die ihm und seinem Bruder Benjamin als Schablone für das Logo der Feuerwehr gedient hat, vom Stromkasten.

Gerade noch rechtzeitig treffe ich am Feuerwehrhaus ein, um Niklas und Benjamin, den beiden Mitgliedern der Jugendfeuerwehr, dabei über die Schulter zu schauen, wie sie Zentimeter für Zentimeter die schwarz übersprühte Klebeschablone aus Plotterfolie von ihrem Stromkasten abziehen. „Retten, Löschen, Bergen, Schützen“, sinniert Brandinspektor Gernot Janikulla, als das Logo der Blauröcke zum Vorschein kommt und ist begeistert, wie die beiden Brüder den bis dahin unscheinbaren Kunststoffschrank auch thematisch genau passend zur Geltung gebracht haben. Janikulla ist gerade auf einem Spaziergang unterwegs – und hat dabei schon mehrere Graffitis der Bansen-Sprayer entdeckt: „Ich finde die Idee mit den bunten Stromkästen sehr, sehr gut“, sagt Janikulla – am allerschönsten sei natürlich das Exemplar neben dem Feuerwehrhaus: auf der einen Seite das Logo, auf der anderen ein Kamerad mit schwerem Atemschutzgerät inmitten einer Feuersbrunst – „Einfach klasse“, urteilt der Brandinspektor.

„Immer schön in Bewegung bleiben“

Auch Niklas und Benjamin sind mit ihrem Werk zufrieden. Nur der letzte Feinschliff fehle noch, befinden sie selbstkritisch. „Wollen sie auch mal?“, drückt Siems mir unvermittelt eine Spraydose in die Hand: „Je weiter entfernt, desto nebeliger ist der Effekt – und beim Sprühen immer schön in Bewegung bleiben.“ Vorsichtig lasse ich eine hauchzarte Funkenwolke auf das kohlschwarze Logo niederschweben. Niklas und Benjamin beäugen das Ganze mit Argusaugen – sind aber mit dem Ergebnis zufrieden. Glück gehabt.

Bei ihrem Spaziergang haben Jürgen Klie und sein Vierbeiner Max den Stromkasten von Sarah entdeckt. „Das gefällt mir“, freut sich der Lotteraner über die Verschönerung des Dorfbildes.

Neuer Wanderweg im Repertoire

Doch auch die anderen sechs Stromkästen sorgen schnell für Aufsehen und machen, so das einhellige Urteil der Betrachter, das Ortsbild „fröhlicher, interessanter – und einfach sehr viel schöner“, meint auch Jürgen Klie, der als Passant mit seinem Hund Max ebenfalls zufällig Zeuge der Aktion wird. Der Alt-Lotteraner betrachtet die fein geschnittene Silhouette der Sehenswürdigkeiten, die Schülerin Sarah auf ihrem Kasten an der Cappelner Straße vor einen spektakulären Sonnenuntergang platziert hat. „Also mir gefällt‘s“, sagt Klie und nickt anerkennend. Er dürfte wohl nicht der Einzige bleiben, der die bunte Stromkasten-Tour ins feste Repertoire seiner persönlichen Wanderwege aufnehmen wird.

(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 16.05.2018)

Die Idee, wie ihr Stromkasten später aussehen soll, hat Sarah genau im Kopf.