Plädoyer für mehr Männer in den Kindergärten

Mädchenfarbe, Jungenfarbe? Wer Rollenklischees überwindet, kann aus dem Vollen schöpfen! Foto: Pixabay

Wer einen Kindergarten besucht, wem Kitas oder Grundschulen nicht gänzlich fremd sind, kommt nicht umhin zu bemerken, dass sich die frühkindliche Erziehung in einer bedenklichen pädagogischen Schieflage verheddert hat und in eingeschränkter Manövrierfähigkeit weit unter ihren Möglichkeiten dahindümpelt: 97 Prozent des Fachpersonals in Kindergärten und Kitas sind Frauen.

Nicht, dass die weiblichen Erziehungsexpertinnen keine gute Arbeit leisteten – das tun sie ohne Frage. Aber: Wo, bitte schön, bleiben die Männer und deren mitprägender Einfluss auf die nächste Generation? Wie sollen die Jüngsten geschlechterspezifische Ausgewogenheit, Vielfalt und Gleichberechtigung erfahren, wenn diese Ideale de facto am Lernort gar nicht vorhanden sind und somit auch nicht entsprechend vorgelebt werden können? Um auf diesen Missstand aufmerksam zu machen, zeigt der Bersenbrücker Astrid-Lindgren-Kindergarten in der nächsten Woche die Wanderausstellung der bundesweiten Initiative „Mehr Männer in die Kitas“.

Noch immer der alte Kampf Blau gegen Rosa!?

Entschlossen greift der fünfjährige Daniel zum grünen Pinsel. Die Lieblingsfarbe seines Kiga-Kumpels Oliver dagegen ist Blau. „Wir nehmen dann mal die Mädchenfarben“, sagt Nicole und tunkt fröhlich die Quaste ins Rot, während Veronika mit leuchtenden Augen beginnt, ihren linken Fuß knallrosa anzumalen. Mädchenfarben? Jungenfarben? Ist die junge Generation etwa noch immer von längst überwunden gehofften Rollenklischees umzingelt?

„Der Kai ist immer hier“

Kai Ferati, Heilerziehungspfleger im katholischen Kindergarten Arche Noah in Bersenbrück, reicht seinen vier Schützlingen schmunzelnd die Mal-Utensilien an. Er bindet vier Matsch-Kittel zu, krempelt acht Ärmel hoch und assistiert dann geduldig mit Wischlappen und Handtuch. Kai Ferati? Ein Mann im Kindergarten? Gehört das so? Oliver, Veronika, Daniel und Nicole blicken einander irritiert an – die vier wissen nicht so recht, was sie von dieser Frage halten sollen. „Der Kai ist immer hier“, erklärt Nicole schließlich mit Nachdruck: „Der ist doch unser Erzieher.“

Wann ist ein Mann ein Mann…?

Vielleicht sind Rollenklischees wie schlechte Angewohnheiten: Man kann sie nicht aus dem Fenster werfen, sondern muss sie Stufe für Stufe die Treppe herunter schleppen. Blau hin und Rosa her – Daniel, Nicole, Oliver und Veronika stehen mit ihrer entspannten Haltung zu den vermeintlich geschlechterspezifischen Verhaltensmustern ihrer erwachsenen Bezugspersonen zwar vorbildlich, aber doch recht alleine da. Die vorgefasste Meinung, dass das weite Feld der frühkindlichen Erziehung für einen richtigen Mann eigentlich kein ernst zu nehmendes, geschweige denn ein angemessenes Betätigungsfeld sei, befindet sich noch ziemlich oben auf der Stufenleiter der gesellschaftlichen Fehlurteile.

Bundesweite Initiative: Mehr Männer in die Kitas

Mit der bundesweiten Initiative „Mehr Männer in die Kitas“ will das Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend diesen Trend ändern. Unter anderem mit Mitteln aus dem Europäischen Sozialfonds werden Modellprojekte und Kampagnen angestoßen, um jungen Männern den Einstieg in die wunderbare Welt der institutionellen Kinder- und Jugendarbeit schmackhaft zu machen. Auch der Altkreis Bersenbrück ist in Bewegung.

„Das Team fühlt sich kompletter an“

„Männliche Erzieher bringen andere Qualitäten in die Einrichtung hinein“, sagt Marianne Peukert, Leiterin des katholischen Kindergartens Arche Noah. Damit meine sie nicht bloß, dass endlich mal jemand da sei, der auch die etwas schwereren Dinge mühelos hin- und her tragen, ein paar Nägel für die Bilder in die Wand hauen und mit den Kindern in den Werkraum gehen könne, gesteht sie halb amüsiert, halb seufzend. Klischees sind wie schlechte Angewohnheiten… Nein, natürlich meine sie vor allem die pädagogischen Impulse. „Das Team als Ganzes fühlt sich einfach kompletter an, wenn beide Geschlechter vertreten sind“, sagt sie. „Auch in Elterngesprächen ist ein Mann als Ansprechpartner besonders für die Väter oft sehr hilfreich.“

Schlechte Bezahlung, geringe Aufstiegsmöglichkeiten

Kai Ferati ist unter den 14 fest angestellten Fachkräften der Einrichtung an der Goethestraße derzeit der einzige Mann. Woran das liegt? Marianne Peukert zieht vielsagend die Augenbrauen hoch. „An der schlechten Bezahlung von Erziehern besonders in Teilzeitstellen und an den geringen Aufstiegsmöglichkeiten.“ Frauen hätten natürlich mit den gleichen beruflichen Nachteilen zu kämpfen, „aber die scheinen sich, warum auch immer, eher damit zu arrangieren“, hat Peukert beobachtet.

Sprungbrett in den sozialen Bereich

Und Kai Ferati? Warum ist der 36-jährige zweifache Familienvater nicht bei seinem ersten Lehrberuf geblieben und hat stattdessen nach seiner Tischlerlehre eine Ausbildung zum Heilerziehungspfleger gemacht? Der gebürtige Kettenkamper wiegt bedächtig den Kopf hin und her. „Der Zivildienst in den Bersenbrücker Werkstätten war quasi mein Sprungbrett in den sozialen Bereich“, erinnert er sich. Die Arbeit mit Menschen habe ihn vom ersten Moment an fasziniert. Während der dreijährigen Ausbildung an der Quakenbrücker Fachschule für Heilerziehungspflege, berichtet Ferati, habe er ein für ihn prägendes Blockpraktikum an der Kardinal-von-Galen-Schule für Körperbehinderte in Dinklage absolviert.

Hemmschwellen überwinden

Als Zusatzqualifikation schloss er zudem eine einjährige Motopädieausbildung in Dortmund ab. „Unsere Klasse bestand damals aus 24 Frauen, Erzieherinnen, Sozialpädagoginnen, Lehrerinnen – und ich als einziger Mann dazwischen.“ Ja, blickt er im Nachhinein etwas ungläubig drein, irgendwie habe er da schon gemerkt, dass er die Ausnahme gewesen sei. „Aber, wenn man Hemmschwellen überwinden und klassische Rollenmuster durchbrechen will …?“ Er lässt den Satz offen und lächelt. Schließlich hat er durchgehalten – der einzige Mann.

Spannende Aufgabe voller Verantwortung

Siebeneinhalb Jahre war er anschließend im Bereich der Frühförderung tätig. Seit 2010 arbeitet er im Arche-Noah-Kindergarten. „Als Mann habe ich hier durchaus eine tragende Rolle und kann Einfluss auf die Erziehung und die Entwicklung der Kinder nehmen“, sagt er. „Eine wirklich schöne Aufgabe – sehr spannend und voller Verantwortung.“ Wer Freude an der Arbeit mit Kindern habe, dem rät Ferati den Schritt in die Erzieherlaufbahn zu wagen: „Als Mann hat man in diesem Bereich ohnehin viele gute Karten in der Hand und wird meistens mit Kusshand genommen.“

Rollenklischees durchbrechen

Kai Ferati schaut aufmerksam zu, wie Veronika, Daniel, Nicole und Oliver mit akribischer Genauigkeit blaue Füße und rosa Handflächen aufs Papier stempeln. „Ihr könnt ruhig auch mal tauschen“, schlägt er mit diplomatischer Miene und aufmunterndem Tonfall vor. Die vier Kinder überlegen nicht lange: „Kann ich dein Blau?“ Schon ist Nicoles Fuß dunkel eingefärbt. Und Daniel zieht bedächtig einen pinken Finger übers Papier. Kai Ferati lächelt zufrieden.

(Erschienen in: Bersenbrücker Kreisblatt, 07.04.2013)