Wenn in den Ratsstuben die Würfel fallen

Drei Würfe pro Durchgang hat jeder Spieler beim Preisknobeln in den Wersener Ratsstuben. Am 2. März findet der letzte Wettbewerb in dieser Wintersaison statt. Mit etwas Glück gibt es eine Fortsetzung der beliebten Veranstaltung. Foto: Ulrike Havermeyer

Eigentlich wollten Hendrik Gohrbandt und Eike Tüting nur kurz einspringen, als die Soldatenkameradschaft Wersen ihr beliebtes Doppelkopf- und Preisknobelturnier eingestellt hat. Das war vor acht Jahren. Seitdem engagieren sich die beiden für den Erhalt der Traditionsveranstaltung.

Freitagabend… was soll ich tun? Im Kino läuft nichts Vernünftiges. Unsere Freunde kurieren ihre Erkältung aus. Und den Krimi habe ich durchgelesen. Doch nach einer arbeitsreichen Woche brauche ich dringend etwas Zerstreuung. Beim Durchstöbern der Zeitung fällt mein Blick auf eine kleine Ankündigung, die mir verrät, wie andere Entspannungssuchende ihre Freitagabende gestalten: Sie knobeln. Neugierig mache ich mich auf den Weg in die Wersener Ratsstuben.

Als erfahrene Doppelkopfspielerin kenne ich mich zwar mit Re und Kontra aus, habe vom Preisknobeln jedoch keine Ahnung. Nie gemacht. Das hat etwas mit Würfeln zu tun, schon klar. Aber gibt es fürs Knobeln offizielle Regeln? Spielen dabei nur Glück und Zufall eine Rolle, oder sind auch strategisches Kombinieren und womöglich sogar gute Kenntnisse in statistischer Wahrscheinlichkeitsrechnung gefragt?

Nach Mathe-Unterricht sieht es hier jedenfalls nicht aus, stelle ich erleichtert fest, als ich das lauschige Stübchen in der Gaststätte betrete: Etwa zwanzig Personen haben es sich, immer schön in Vierer- oder Fünfergrüppchen, an den Spieltischen bequem gemacht. Die Stimmung ist wie das Ambiente: gemütlich rustikal. Keinerlei Tischdekoration – alles deutet auf Doppelkopf hin. „Und wo wird hier geknobelt?“, erkundige ich mich bei Eike Tüting. Der 36-jährige Wersener ist just noch damit beschäftigt, die Teilnehmer in die Starterliste einzutragen und deutet vergnügt neben sich: Am Ende der Tischreihe warten drei lederne Knobelbecher, die kopfüber auf leidlich abgenutzten Filzuntersetzern postiert sind, auf ihren Einsatz.

Abläufe von der Soldatenkameradschaft übernommen

„Das mit dem Knobeln läuft bei uns nebenher“, bereitet Tüting meiner Illusion von einem eigenständigen Würfelturnier ein jähes Ende. „Wir haben die Abläufe genau so beibehalten, wie wir sie damals von der Soldatenkameradschaft übernommen haben“, ergänzt Mitveranstalter Hendrik Gohrbandt. „Die Leute haben sich daran gewöhnt und mögen das so.“ Ich blicke mich um: Überwiegend silberhaarige Männer sitzen bei einem Glas alkoholfreiem oder auch nicht alkoholfreiem Bier zusammen, palavern über Dies und Das und stecken dabei ihr Blatt zurecht, hier und da hat sich auch ein jüngerer Spieler unters Volk gemischt. Nach einigem Suchen zähle ich vier Frauen.

Der eigentliche Ursprung dieser Tradition liege sogar noch weiter zurück, erklärt mir Gohrbandt, als vor mehr als 20 Jahren der Schützenverein Dütestrand das gemischte Doppelkopf-Knobel-Turnier begründet und an manchen Abenden bis zu zweihundert Gäste begrüßt habe. Einige der Spieler, die sich an diesem Freitag hier in den Wersener Ratsstuben treffen, kennen sich bereits seit damals. „Ja, da war hier vielleicht was los“, sinniert ein älterer Herr aus Eversburg, schiebt sich an den Doppelkopftischen vorbei Richtung Knobelbecher – und legt vor: Mit kraftvollem Schwung lässt er die drei Würfel auf den Filz prasseln. Drei Würfe ergeben einen Durchgang. Jeweils die höchste Summe eines jeden Teilnehmers gilt für die Endauswertung. Drei mal sechs macht 18. Drei mal 18 macht 54. Knobeln hat sehr wohl etwas mit Rechnen zu tun, stelle ich fest. Sieben, dreizehn, acht – und mit Glück ebenfalls, muss ich gleich darauf erkennen…! „Natürlich bin ich hier, um zu gewinnen“, lässt der entschlossene Eversburger keinen Zweifel an seinem Ehrgeiz – und legt den Einsatz von 50 Cent für eine weitere Runde auf den Tisch.

„Also für mich zählt die Geselligkeit“, geht Edith Krüger die Sache gelassener an – und ermahnt die Umstehenden mit gespielt strengem Augenzwinkern: „Seid mal still, ich muss mich konzentrieren!“ Aber das Würfelglück lässt sich nicht mit Geisteskraft herbeizaubern… In ihrer ersten Runde kommt die Halenerin gerademal knapp über 20 Augen hinaus. „Macht nichts, ich versuche es später noch einmal“, wehrt sie ab und schmunzelt: „Für den Sieger gibt es einen Fleischpreis – ich bin Vegetarierin.“

Worin besteht der Reiz des Knobelns?

Als folgten sie einer geheimen Übereinkunft, statten im Laufe des Abends fast alle Kartenspieler dem Würfeltisch einen Besuch ab. Wechseln ein paar Worte mit Hendrik Gohrbandt und Eike Tüting, die gewissenhaft die Ergebnisse in ihrer Liste notieren. Je häufiger die Würfel in den Bechern klackern, desto klarer wird, was den Reiz des Knobelns ausmacht: Als eine Art Small Game wirkt es wie das Pendant zum Small Talk: Eine willkommene Gelegenheit für eine unverbindliche Kontaktaufnahme, die manchmal in überraschend verbindlichen Zusagen mündet. „Du willst also wirklich aufhören?“, erkundigt sich der Stammgast aus Niedersachsen zwischen zwei Würfen bei Hendrik Gohrbandt. Gohrbandt zuckt bedauernd mit den Schultern. Aus beruflichen Gründen hat er – sehr zum Verdruss der Spieler – nach dieser Saison seinen Ausstieg aus dem Planungsteam angekündigt.

Der ambitionierte Eversburger stellt den Würfelbecher ab und  schüttelt nachdenklich seinen Kopf. „Vielleicht könnte ich Eike dann ja unterstützen“, überlegt er und setzt trotzig hinzu: „Solange ich noch Karten halten kann, will ich nämlich hier in Wersen weiter Doppelkopf spielen!“ Möglicherweise ist damit der Fortbestand des Kartenturniers also bereits gesichert – und mit dem nötigen Quäntchen Glück wohl auch der des traditionsreichen Knobelwettbewerbs.

Das voraussichtlich letzte Doppelkopf-Preisknobel-Turnier des Organisationsteams Tüting/Gohrbandt findet am Freitag, 2. März, um 19.30 Uhr in den Ratsstuben statt. Allen, denen das Kinoprogramm an diesem Abend nicht zusagt, die ihren Roman ausgelesen haben, oder die einfach nur in munterer Runde nette Leute kennenlernen wollen, sei ein Besuch wärmstens ans Herz gelegt.

(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 07.02.2018)