Im Discofox atemlos übers Parkett

Tanzstunde
Unter Jugendlichen liegen Standardtänze derzeit im Trend. Foto: Ulrike Havermeyer

Wie-ge, Wech-sel-schritt, Wech-sel-schritt, Wie-ge. Na, wer weiß es? Richtig: der Jive. Vierviertel Takt. Ganz klarer Fall. Ich hab’s übrigens nicht gewusst. Wie mir auch einiges andere entfallen war, in den vergangenen Jahrzehnten, die seit meinem ersten – und einzigen – Tanzkurs vergangen sind. Und, allen schönen Worten zum Trotz: Die Sache mit dem Cha-Cha-Cha ist nicht wie die Sache mit dem Fahrradfahren. Jedenfalls nicht bei mir.

„Standardtanz ist gelebte Rollen-Archaik“

Das könnte Uwe Reinebold, dessen Schicksal es an diesem Tag ist, mich über das Parkett zu bugsieren, bestätigen. Allein: Er würde das niemals tun. Denn Tanzlehrer sind Gentlemen. Durch und durch „alte Schule“. Ein nicht unwichtiges Detail, wenn es darum geht, die Besonderheiten dieser – selbst unter Jugendlichen noch immer erstaunlich gängigen – Freizeitbeschäftigung zu benennen: Ob Discofox, Latino oder Langsamer Walzer, Standardtanz ist gelebte Rollen-Archaik. Sprich: Der Mann führt. Die Dame nimmt die Führung an. Widerspruchslos, wenn’s eben geht. Doch mit der nötigen Portion Selbstironie und dem richtigen Partner macht so ein Ausflug in die Welt der ritualisierten Bewegungsmuster – nach eingehendem Selbsttest – auch mir richtig Spaß.

Wer Tanzen kann, fühlt sich sicherer

Drei Monate lang treffen sich die gut zwei Dutzend Jugendlichen einmal in der Woche im Saal der Gaststätte Pieper in Mettingen, um tanzen zu lernen. „Das gehört irgendwie dazu“, sagt eine der Schülerinnen: „Man fühlt sich dann sicherer, wenn man mal zu einem Fest geht – einer Hochzeit oder so.“ Uwe Reinebold, Mitglied des Allgemeinen Deutschen Tanzlehrerverbands und Betreiber der Tanzschule Reinebold in Ibbenbüren, bietet hier seit einigen Jahren Standardunterricht für Jugendliche ab 14 Jahren an. „Diese Kurse sind eigentlich immer gut besucht“, sagt er. „Mir als Tanzlehrer macht das viel Freude, weil diejenigen, die zu mir kommen, in der Regel sehr motiviert sind: Die wollen ja einfach gerne tanzen lernen – und bringen dementsprechend viel Interesse und Durchhaltevermögen mit.“

Getragen von Hoffnung und Humor

„Die Damen fordern die Herren auf zum Wiener Walzer!“ Das Parkett füllt sich. Die Paare richten sich aus. Hier ein Grinsen. Dort ein Probeschritt. Letzte Absprachen. Dann geht es los: „Vier Mal Pendeln, vier Mal Drehen“, raunt Uwe Reinebold durchs Mikrophon, bevor er einem mir unbekannten Interpreten das Feld überlässt: „Bloß keine Omi-Musik“, ist die Devise des 59-Jährigen. Er orientiert sich mit seinen Einspielungen an den aktuellen Charts – vor allem, um den 15- und 16-Jährigen zu demonstrieren, dass Standardtänze immer und überall anwendbar sind. „Meine Herren“, mahnt Reinebold schmunzelnd, „achten sie darauf, dass ihre Dame stets mit einem Fuß Kontakt zum Boden behält.“ Luftpolster besohlte Turnschuhe gleiten über die Tanzfläche. Wer seinen Rhythmus gefunden hat, ist König. Die anderen werden von Humor und Hoffnung getragen. An den entspannten Gesichtern kann man ablesen, dass der Tanzunterricht bei Uwe Reinebold für alle ein willkommener Ausgleich zum Schulalltag ist. Die Stimmung ist, wie die Kleiderordnung: locker.

Was heißt hier ‚geistig mobil‘?

„Tanzen fördert die Koordinationsfähigkeit und hält einen auch geistig mobil“, erklärt Uwe Reinebold mit gewinnendem Lächeln. Warum sagt er das jetzt zu mir? Ich finde, ich schlage mich wirklich wacker. Doch gerade, als ich den Grundschritt einigermaßen raus habe, schwenkt mich der sympathische Hüne gekonnt unter seinem Arm durch. Mal nach links. Mal nach rechts. Vollkommen irritiert hopse ich auf der Stelle, starre ratlos auf meine Schuhspitzen und versuche mich an das Grundmuster zu erinnern: ohne Erfolg natürlich. Da spüre ich auch schon Reinebolds rechte Hand in meinem Rücken, und meine Füße können gar nicht anders, als den Schritten des Meisters wie ferngesteuert zu folgen. „Sehr gut machen sie das“, flunkert er mich an und wirbelt mich augenzwinkernd in die nächste Drehung: unbeirrt, charmant, formvollendet – ganz „alte Schule“ eben.

(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 11.03.2015; Westfälische Nachrichten, 11.03.2015)