Der Reiz des Rückschritts

Da läuft einem das Wasser im Munde zusammen... Wenn Friedhelm Frehmeyer (rechts) und Scott-Braiyn Bielsky die Ergebnisse ihrer traditionsreichen Handarbeit aus dem Steinofen präsentieren, wird einem klar, dass technischer Rückschritt nicht nur Nachteile aufweist. Foto: Ulrike Havermeyer
Da läuft einem das Wasser im Munde zusammen… Wenn Friedhelm Frehmeyer (rechts) und Scott-Braiyn Bielsky die Ergebnisse ihrer traditionsreichen Handarbeit aus dem Steinofen präsentieren, wird einem klar, dass technischer Rückschritt nicht nur Nachteile aufweist. Foto: Ulrike Havermeyer

Zurück zu den Wurzeln oder besser gesagt, zurück zu den Weizenkeimen, begebe ich mich nach Düte auf den ehemaligen Bauernhof von Friedhelm Frehmeyer. In seinem selbst gemauerten Steinofen backt der Landwirtssohn regelmäßig Brot – wie in alten Zeiten.

Viele Wege führen zu einer krossen Kruste: Während meine Oma ihren Bauernstuten noch in einer langbeinigen, kohlebeheizten „Kochmaschine“ zubereitet hat und meine Mutter unbeirrbar auf die Ober- und Unterhitze ihres Elektroherdes schwört, lasse ich meine Teigballen von einer wohltemperierten Umluft in knusperige Brötchen verwandeln. Statt auf technischen Fortschritt setzt Friedhelm Frehmeyer dagegen auf altbackene Tradition: Mit seinem selbst gemauerten Steinofen nutzt er eine Gerätschaft, die auf dem mittelalterlichen Brustfeuerungsofen beruht, der sich wiederum am römischen Kuppelofen orientiert. Das Prinzip: In der Backkammer des Ofens wird ein Feuer entfacht, das deren komplette steinerne Einfassung erhitzt. Nach etwa drei Stunden Vorheizzeit werden Glut und Asche entfernt und der Teig in den Ofen geschoben.

In der Zwergenburg

„Fassen Sie mal ganz vorsichtig hinein“, fordert mich Friedhelm Frehmeyer auf, nachdem er bereits vor rund einer Stunde die Glut aus dem Ofen gekehrt und den Backkasten mit einem nassen Lappen gereinigt hat. Der gelernte Handwerker, der die Maurerkelle gegen einen langstieligen Brotschießer getauscht hat, schwenkt die Ofenklappe zur Seite und eröffnet mir den Blick in ein flaches Gewölbe aus roten Schamottsteinen, das mich an das Kellerverlies einer mittelalterlichen Zwergenburg erinnert. Eine Welle aus trockener Hitze strömt mir ins Gesicht: glühend, aber nicht unangenehm. Als stünde ich in der Eingangstür zu einer finnischen Sauna. Irre ich mich, oder liegt da nicht sogar der Hauch eines würzigen Aufgusses in der Luft, Marke Buchenholzduft? Ich schiebe meine Finger langsam in Richtung der gut zwei Meter durchmessenden Backkammer – und ziehe sie in Windeseile wieder zurück. Die neugierige Besucherin hat ihre Lektion gelernt: Die vermeintliche Zwergen-Wellness-Oase ist tatsächlich eine für menschliche Hände unbedingt zu meidende Folterkammer. Friedhelm Frehmeyer nickt ernst: „Nach dem Anheizen strahlen die Steine Temperaturen zwischen 245 und 280 Grad ab“, erklärt er.

Historische Landtechnik

Der 66-jährige Westerkappelner hat ein solides Faible für historische Landtechnik und sich zur Aufgabe gemacht, die regionalen Gewohnheiten vergangener Tage zu bewahren und am Leben zu halten. Regelmäßig veranstaltet der Begründer des über die Grenzen der Gemeinde hinaus bekannten Traktorenmuseums historische Erntevorführungen, Ausstellungen und Aktionstage. Kein Wunder also, dass er sich für den Bau eines geschichtsträchtigen Steinofens entschied, als er vor 35 Jahren nach einer Lösung suchte, wie man das 1636 errichtete Backhaus auf dem Gelände seines Hofes beheizen könnte.

Zwei Elfrieden, eine Idee

Doch schon bald entdeckten Frehmeyers Mutter Elfriede und deren Nachbarin, ebenfalls mit Namen Elfriede, das gastronomische Potenzial, das die in ihren Möglichkeiten unterschätzte Wärmequelle offenbarte. „Darin können wir Brot backen wie in alten Zeiten“, freuten sich die beiden – und legten los: Rosinenstuten. Weißbrot. Pumpernickel. Die Ergebnisse waren so köstlich, dass Friedhelm Frehmeyer deren Zubereitung erlernte, und sie seitdem im Frehmeyer’schen Bauerncafé anbietet und vermarktet.

Ein eingespieltes Team

Während sein Kollege Scott-Braiyn Bielsky, Bäckermeister aus Riesenbeck, die Masse des am Morgen vorbereiteten Körnerteigs in Portionen zerteilt und in die Backformen füllt, hält Friedhelm Frehmeyer, der Traditionalist aus Leidenschaft, den Brotschießer bereit und befördert die Laibe mit schwungvollen Bewegungen in den höllenheißen Keller der vermeintlichen Zwergenburg. „Ungefähr eine Stunde dauert es, bis die Krume gleichmäßig durchgebacken ist“, erklärt Bäckermeister Bielsky. Gerade Zeit genug für die beiden Männer, den nächsten Posten vorzubereiten: Nach den Vollkorn-, den Dinkel- und den Früchtebroten sind die Bauernstuten, die Weißbrote und natürlich der beliebte Pflaumenkuchen dran. „Aus einem Teil des Backgutes machen wir die gemischten Platten, die wir in unserem Bauerncafé anbieten“, berichtet Frehmeyer, „aber wir haben auch viele Stammkunden, die sich hier an jedem Wochenende ihre Brote abholen.“

Traditionalist aus Leidenschaft

Feuerholz besorgen. Anheizen. Die Glut entfernen. Die Backkammer reinigen. Rund 70 Brotformen, die jeweils in eine Etage des zweistöckigen Bauwerks passen, meterweit in den Ofen „schießen“. Und sich ganz nebenbei um die Herstellung der verschiedenen Teigsorten kümmern. Warum tun Frehmeyer und Bielsky sich das an? Von Anfang April bis Ende Oktober hat das Bauerncafé an jedem Wochenende geöffnet. Und an jedem Wochenende wird hier frisches Steinofenbrot serviert. Frehmeyer lächelt. Statt einer Antwort überreicht er mir ein golden patiniertes Wallnussbrot. „Probieren sie das mal“, sagt er. Und nur einen Happen später sind sämtliche meiner Fragen geklärt.

(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 17.08.2016)